04.02.47: Das Altersheim des Joint in Rădăuți


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):





Radauti 4/2 1947

Liebe Kinder, lieber Jul!

Soeben deine neue Liebesgabe (350000) mit heißem Dank u. Gotteslohn-Wunsch erhalten. - Nach der Schilderung unserer Standardes (standard of life) im vorigen Schreiben haben wir uns zu dem Versuch entschlossen, unsere Situation grundlegend zu ändern. Alles hat seine Zeit, die abläuft, wir sind nicht mehr elastisch u. physisch kräftig genug, eine Eigenwirtschaft weiterzuführen u. müssen dran denken, uns einer Gemeinwirtschaft anzuschließen. Im Westen gab es vor dem Kriege sogenannte Altersheime (das ominöse Wort „Versorgungs-„ wurde geflißentlich gemieden), wo zahlungskräftige Menschen, um die Alltagsscherereien loszuwerden, sich einkauften u. laufend ein Pflegegeld zahlten. Ein Gemisch von Asyl u. Altersheim wurde nun im Laufe des vergangenen Herbstes in Radauti vom "Joint" [Anm.: Kurzform von American Jewish Joint Distribution Committee] geschaffen. Daß der Name "Asyl" beibehalten wurde, tut nichts zur Sache, dort gibt es einige Gratispfleglinge, wie Fr. Ellenbogen, Frl. Lauer (beide aus Cernăuți), u. eine Fr. Crețu aus Fălticeni, dieselbe wurde von der Bucar. Joint Centrale hineindiktiert! Das Heim ist stiftungsgemäß für die Judele Radăuți u. Suceava, trotzdem sind die meisten Pfleglinge Cernăuțier Repatriierte. So sind dort Herr Lecker, Herr Hain (Vater des sehr gut situierten Dentisten Hain), Herr Polletl, etc., die ihre Kinder in Bucuresti wohnen haben, ebenso Prof. Bickl (der alte Pedant, der mir vor einigen Monaten ein Zimmer wegschnappte. Dasselbe ist nun frei!). Auch der Cernăuțier Friseur Reinstein ist dort, derselbe soll 45 Jahre zählen, gibt sich aber als 60er aus, nur um dorthin hineingekommen zu sein. - Um die Lobeshymnen der Fr. Ellenbogen auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen, machte heute Mutter dortselbst der Genannten einen Besuch u. fand folgendes: Das Heim ist in einer als Fachwerksbau (Gemisch von Ziegeln u. Holz) gebauten Villa untergebracht, dort gibt es in den Pflegeräumen gemauerte Heizöfen (keine Kachel!), weiche Fußböden (keine Parketten), einen Baderaum mit sehr guter Emaillewanne (besser als bei uns in d. Cuza Voda), weißlackierte Betten aus Eisen mit Matratzeneinlagen. Das von uns angestrebte Zimmer würde 2 solcher Betten, 1 Waschtisch, 2 Nachtkastl, 1 Tisch mit 2 Sesseln enthalten. Für die Kleider müßten wir uns beim Tischler eine Art Rechen machen lassen. Bis zu meiner Grippeerkrankung habe ich Mutter heraufgebracht, Abfallstoffe fortgetragen, Holz hereingeschafft u. diverse Besorgungsgänge gemacht, jetzt bin ich noch nicht soweit, meine Arbeit wieder aufzunehmen. Mutter muß das alles allein machen. Tagsüber sind wir mit dem Hegen unseres Blechküchenherdes etc. beschäftigt. Dort im Heim gibt es 5 Dienstpersonen. Mahlzeiten werden 3 Mal täglich verabreicht, darunter 3 Mal wöchentlich Fleisch, also ziemlich knapp, aber wer Geld hat, kann sich seine Kost nach Belieben aufbessern. Die Vorteile sind also dort: Bedienung, teilweise Kost, Beheizung, elektr. Beleuchtung (die haben wir ohnehin, aber extrazahlend!). Gratis wird Wäsche gewaschen u. sogar rasiert u. frisiert, gratis Schuhe in der Hausschusterei repariert u. was nebst dem Wäschewaschen Hauptsache ist: ein Bad im Hause! Nebstbei bemerkt: ein Garten beim Hause! (Natürlich zahlen bessere Gäste Trinkgelder!) - Da also die meisten Pfleglinge Fremde sind, habe ich als Radauțier "Kind" besonderen Anspruch, aufgenommen zu werden, müßte dich aber bitten, beim Bukarester "birou central reasistența Joint" [Anm.: rum. "Zentralbüro der Hilfsorganisation Joint"], Str. Italiană 1, zu intervenieren, damit von dort aus meine Aufnahme verlangt und ein Pflegegeld ausgemacht wird, das ich zu leisten in der Lage bin. Meine Pension beträgt jetzt 406000 Lei monatlich, du wirst somit, unter Einrechnung deiner Subvention unter Würdigung des dort Gebotenen resp. unter Einschätzung unserer dort erforderlichen Zukost u. kleinerer Anschaffungen berechnen können, wieviel wir als Pflegegeld zu leisten in der Lage sind. Für Prof. Bickl wurden 150000 Lei monatlich ausgemacht, das für uns anzustrebende Maximum wären somit 300000 Lei, doch ist es nicht angezeigt, sich darauf zu versteifen. - Die Unterbringungsmöglichkeit ist folgende: Das 2-bettige Zimmer, das mir Prof. Bickl wegschnappte, hat er verloren, weil er in einer Alterslaune die Zahlung seines Pflegegeldes verweigerte. Dort wurde nun die Köchin mit ihrem 15 jähr. Sohn untergebracht. Sie erhält 300000 Lei monatlich u. volle Kost für sich u. ihren Sohn. Nun gibt es Offerte von Frauen, die für die Kost allein Köchin sein möchten. Es wäre daher gar kein Malheur, wenn die Köchin ein Bett in einem Frauen- u. der Sohn ein Bett in einem Männergemeinschaftsraume erhält. Das Heim ist für 30 Pfleglinge vorgesehen, davon sind 26 Plätze besetzt. So ist Frl. Lauer allein in einem 4-bettigen Frauengemeinschaftsraume untergebracht, dorthin könnte die Köchin kommen. - Ein besonderes, verschließbares Kämmerchen im Stiegenhause ist für unsere Sachen, die für uns überflüssig werden, wie Sitzwanne, Wassereimer, etc. vorhanden. Das für uns in Aussicht genommene Zimmer liegt ebenerdig u. ist separiert. - Weiterer Vorteil: Beim Eintritte darf man nicht krank sein, da Kranke dort nicht aufgenommen werden. Erkrankt man aber dort, dann sind Arzt u. Apotheke gratis (meine Grippe allein hat mich / resp. dich / 1/4 Million gekostet!) - Jeder Pflegling erhält tägl. 1/2 Brot (in jüngster Zeit abwechselnd mit malain [Anm.: rum. "mălai" = "(Mais-)Mehl"]). Das Brotentgelt für mich u. die Mutter würde aber allein, nach den jetzigen Brotkosten (40 dkg [Anm.: österr. veralt. Dekagramm = 10 Gramm] 10000 Lei) 300000 Lei monatlich ausmachen! So ein Heim leidet nie Not, immer werden die Vorräte ergänzt. - Wenn aber alle Stricke reißen, dann bitte ich dich, beim Bukarester "Joint" unsere Aufnahme zumindest sofort nach der Erweiterung des Heimes sicherzustellen. In einem Nachbargebäude ist nämlich die Krankenkasse f. Arbeiter untergebracht, dieselbe soll nach Ostern verlegt u. die freiwerdenden Räume sollen dem Heime angeschlossen werden. Vorzuziehen ist eine sofortige Umsiedlung unsererseits, ich würde dazu den ersten milden Tag benutzen (die Temperatur ist bei uns übrigens in Milderung begriffen). Fr. Ellenbogen wird uns bei der Übersiedlung helfen. Dazu wird es notwendig sein, endlich die schon lange notwendige Wäscherin ins Haus (f. 1-2 Tage) zu nehmen u. mit Hilfe der so erhaltenen Reinwäsche unser durch den Winter (à la Stalingrad) stark hergenommenes Zeug einigermaßen in Ordnung zu bringen. Auch das Übersiedlungsfuhrwerk wird Kosten verursachen, aber wir glauben, es wird sich alles lohnen. Ich fasse das Heim durchaus nicht als letzte Station auf, man bewegt sich dort frei, niemand zwingt uns, dort unser Leben zu beschließen. Vielleicht werden dort des Sommers im Garten die Zeiten zurückkehren, wo ich, wie im J. 1938 in Solka, folgendes zu dichten im Stande war:


Eltern

Ich lag im Schatten in grünem Gras
Mitten in Blumen, in gelben,
Und sah den Himmel, so rein wie Glas,
Sich väterlich über mich wölben.

Zu Haupten mir eine Linde stand,
Die raschelte leise im Winde:
Mutter Erde glücksstrahlend ein Spielzeug fand
Mir, ihrem lieben Kinde.

Zu Füßen mir rauschte ein Bächlein wild,
Hoch oben war Waldes Krone:
Mutter Erde zeigte ein schönes Bild
Ihrem müdegetollten Sohne.

Viel Bäume standen im Gartengrund,
Die mir ihre Frucht gesendet:
Ihr süßer Saft zerfloß mir im Mund,
Wie von Mutters Brüsten gespendet.

Ich fühlte, wie sie mich wiegte ein,
Im Weltraum sachte spazierend:
O Mutter Erde, stets bleib ich dein,
Wenn wild auch, unstet u. irrend!

E. H.

(auch ins Ebr. [Anm.: Hebr.] übertragen)

In meinen besten Jahren hatte ich den stets unerfüllten Wunsch: ein Badezimmer für meinen Körper u. einen Garten für meine Seele. Nie war mir beides gleichzeitig beschieden. Soll dieser Wunsch vielleicht jetzt am Abende meines Lebens in Erfüllung gehen??....

Nochmals vielen Dank u. Gottes Lohn! Wirst du nicht dein Lichtbild durch eines von Schellachen [Anm.: Rachel Hauster (Greif)] ergänzen?

Wir küssen euch, eure Alten.

Ing. Elias Hauster

P.S. Heute war die Radautier Ernährungslage eine sehr kritische: Milch 10000 Lei/lit., u. Schmetten [Anm.: ostmitteld. "Sahne"], sowie Käse waren vorhanden, aber kein Fleisch, keine Wurst, kein Brot, kein Povidl [Anm.: ostösterr. "Pflaumenmus"], kein Petroleum, kein Speiseöl. Kleine Eier à 6000 Lei. Butter schwer erhältlich, 20 dkg [Anm.: s. o.] 12000 Lei.

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