11.12.48: Du kannst parteilos bleiben und deine Gedanken zollfrei denken.


Elias Hauster an Julius Hauster:





Sehr wichtig ("O dieses") Radauti 11/12 1948

Lieber Jul!

Ich will dir hier noch weiters die Annehmlichkeiten meines h[iesigen]. o[bigen]. Aufenthaltes darlegen. Vor allem bin ich älter, u. ertrage die h[iesigen]. o[bigen]. scharfen Winter immer schwerer. Wir liegen ja nicht in einem geschützten Tal, sondern in einer den Polarluftströmungen offenen Ebene. Dann konnte ich schon im Sommer zufolge meines Leidens nur wenige Schritte gehen u. mußte dann, hinten am Stock gestützt, anhalten, um Atem zu holen. Damit mich die Passanten nicht mitleidig anschauen, nahm ich mir immer eine Zeitung mit u. las in den Stehpausen, damit mich die Leute für einen eifrigen Zeitungsleser halten, der sogar auf der Straße das Lesen nicht lassen kann. Und da ist man doch im Sommer leicht gekleidet, so daß das Gehen leichter fehlt. Im Winter aber, mit den Goiserern [Anm.: Schnürschuhe - handgefertigt - aus Bad Goisern, Österreich] (ich muß doch öfters stehen u. das kann nur in warmen Schuhen geschehen), u. mit dem schweren Mantel - du hast ja sowohl Goiserer [Anm.: Schnürschuhe - handgefertigt - aus Bad Goisern, Österreich] als auch Mantel getragen u. kennst das Gewicht - wird mein Tempo noch mehr schneckenähnlich sein, und in der Kälte kann man doch keine Zeitung lesen! Da bin ich eine auf der Straße unmögliche Figur. Was die Mutter anbelangt, muß sie allein die Kübel mit Abwasser u. Abfallstoffen (menschlichen) zum Düngerhaufen schleppen. Die Latrine können wir im Winter absolut nicht benützen. (Mutter benützt sie auch im Sommer nicht). Gut, Wasser u. Holz lassen wir uns durch eine Hilfskraft, die zuweilen kommt, auf Vorrat bringen. Aber 2 Mal täglich die Abfallkübel, da hat man doch nicht die Hilfskraft zur Hand u. kann diese Arbeit auch keinem anderen Menschen zumuten. Wie lange noch wird dieses schwache Persönchen, das außerdem noch auf Besorgungen herumläuft, die Abfallkübel schleppen? So exerziert mit uns - sagen wir, das Schicksal - in Radauti. Das ist ja viel schlimmer, als hinter dem eisernen Vorhange, dort hatten wir ja doch im Hause Kanal u. Wasser (WC u. Zapfstelle in der Wohnung). Nun zu deiner Petrolherdangelegenheit. Bei reiflichem Nachdenken steigen mir gewisse Bedenken auf, von denen es gut ist, daß du davon Kenntnis nimmst. Die Art u. Weise, wie du die Bekanntschaft deines Partners machtest, (ist es ein Jude? Wenn nicht, dann umso schlimmer), bringt es mit sich, daß du in Fällen von juristischen Meinungsdifferenzen ihm gegenüber nicht freie Hand hast. Die jetzt am Ruder sind, fangen gerne jede Fliege auf, um die Aufmerksamkeit von ihren Elephanten abzulenken. Vielleicht besitzen oder schaffen sie ein gut funktionierendes Spitzelsystem, u. du wirst dir dann eine große Unannehmlichkeit aufgeladen haben. Hat dein Partner vielleicht von früher einen Mitwisser, dann schon gar. Wenn ferner ruchbar wird, daß du dich vorher mit Lieferungen befaßtest, also Geschäftsmann warst, dann ist dein politisches Konto so wie so belastet, u. ist dann die Möglichkeit deiner Verabschiedung ins Auge zu fassen. Ich empfehle dir die Lektüre der Zeitung "Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie" v. 1. Dez. 1948 (erscheint alle 14 Tage, auf deutsch), eines Propagandablattes durchaus ernster Prägung, Seite 2, "Neue Aufgaben etc.". Der Artikel handelt von czechoslovakischen Verhältnissen, doch bald wir hier Nachahmung stattfinden. Da wird jungen Arbeitern die Möglichkeit gegeben,

1.) Betriebsdirektor oder sonst leitender Beamter zu werden,
2.) Nach einjährigem Schnellsiederkurs zu maturieren u. dann die akademische Karriere einzuschlagen, um sukzessive alle Posten mit Parteimännern zu besetzen u. die bisherigen Kräfte zu eliminieren. Wenn du von der Patentsache ganz bedingungslos abschwenkst u. einen 3- oder 6-monatlichen, ideologischen Abendkurs durchmachst (du kannst dabei parteilos bleiben u. deine Gedanken zollfrei denken), dann hast du meiner Ansicht nach Aussicht auf technische Karriere, u. die willst du doch machen.

Was unsere Aufenthaltsveränderung betrifft: die Übersiedlung in ein mildes Klima mit zivilisiertem Stadtleben (Kanal, Wasser u. Bad) ist für uns eine Lebensfrage, sei es nach Bukarest oder sonstwohin.

Wir küssen dich, deine Alten.


Wir freuen uns überaus, dich zu Weihnachten zu sehen.

Hier ist es richtig kalt, wenn du kommst, dann versieh dich mit sehr warmer Kleidung u. Unterwäsche!!!

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