27.05.48: Elias Hauster, der Erfinder der Sozialen Marktwirtschaft


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):





Radauti 27/5 1948

Liebe Kinder, lieber Julius!

Wir bitten, uns mitzuteilen, ob wir das leere Zimmer (groß wie ein Tanzsaal) zu vermieten versuchen sollen ("cu pat - schelet fără somniere") [Anm.: rum. "mit Bettgestell - ohne Sprungfedermatratze"], in welchem Falle sich der Zins für uns reduzieren würde (die Hausfrau [Vermieterin]/Frl. Ris erwähnte beiläufig, daß der Mieter ev. ihre Küche passieren könnte - was tut man nicht, wenn es konveniert?), oder ob wir das Zimmer lieber für euch, resp. f. dich, reservieren sollen, damit Ihr in Rădăuți ein Absteigquartier habt? Ihr könntet euch von der Bukar[ester]. Hitze hier sehr fein abkühlen. Bitte in diesem Punkte um umgehende Weisungen. Es wäre sehr schön u. f. uns wünschenswert, wenn Ihr hierhier einmal einen Abstecher machen wolltet. Milch u. Schmetten [Anm.: ostmitteld. "Sahne"] sind hier im Überflusse zu haben, Lamm- u. Kalbfleisch täglich (letzteres mehr im Schwarzhandel). Gute Kirschen 40-60 Lei/kg, Obstzufuhr aus dem Süden Rumäniens. Der Judenstaat wird bestehen, Beweis: Amerika hat ihm eine 100 Millionen Dollar Anleihe bewilligt. Du müßtest m. E. nach sofort an die Dynastie Greif schreiben, sie soll eine Kombination mit montierbaren Häusern aussinnen u. sich in die Aufbauaktion einschalten, du wirst der Vertrauensmann in Palästina sein u., zusammen mit anderen Lieferungen, ein schönes Stück Geld verdienen. Der Bedarf an solchen Häusern wird im ganzen Vorderen Oriente enorm sein. Es heißt jetzt eben, Verbindungen in der U.S.A. suchen. Untergangspsychose. Warum wir zugrundegehen müssen, wenn sich die Dinge nicht ändern? Wenn ich sage: wir, dann ist dies mehr generell als individuell. Denn wir im eigentlichen Sinne werden in unserem Leben, das uns beschieden ist, bloß sanft hinunterrutschen. Die Wirtschaft muß am Trombonsystem zugrundegehen. Trombon ist ein Blutgerinnsel, demzufolge Lähmungen des menschl. Organismus auftreten. Das Blut muß eben zirkulieren, wird es daran gehemmt, dann ist's Schluß. Ebenso das Geld im Wirtschaftskörper. Aber da stehen sich 2 Gruppen gegenüber: auf der einen Seite die materiellen Warenbesitzer (überlebter (fossiler) Ausdruck: Kapitalisten), auf der anderen Seite die Besitzer der ideellen Ware: Fixlohnarbeit, ähnlich wie: potentielle u. kinetische Energie in der Physik. Unter dem Preisdiktat der materiellen Warenbesitzer wird jede Preissteigerung überwälzt, der Detailkaufmann auf die Detailkundschaft, diese untereinander, der Schneider auf den Schuster, etc. etc. in langer Kette. Nur wenn diese wirtschaftliche Blutbewegung zum Fixlöhner kommt, macht sie brüsk halt: es entsteht ein ökon. Trombon, die Wirtschaft ist von Lähmung bedroht, der Körper zuckt konvulsivisch in Streiks, etc. (In "demokratischen Musterstaaten" gibts keine Streiks, da ein solcher in 5 Minuten mit dem MG erledigt wär). Diese Krankheit kann nur beseitigt werden, wenn - unter dem Schutze der Staaten - der ideelle Warenbesitzer, der Fixlöhner, die Möglichkeit erlangt, blitzschnell mit dem Preisdiktat der materiellen Warenbesitzer Schritt zu halten, u. da müßte staatlicherseits die soziale Wichtigkeit geregelt werden. So müßte z. B. ein Pariser Lokomotivführer zumindest dieselbe Summe monatlich ausgeben, wie ein in irgend einer Vorstadtvilla wohnender Parfümeriewarenhändler oder Börsenkommissionär, der sicher nicht sozial wichtiger ist, als der Lokomotivführer. Daß eine weitgehende Schematisierung der Berufe möglich ist, hat das rumänische Ressortministerium gelegentlich der Lohnregelung bewiesen. Was gibt nun der Börsenkommissionär f. seine Küche u. Keller, f. die Pflege seines Körpers u. Geistes, f. die Wohnungs- u. Einrichtungspflege, für die Erziehung seiner Kinder, für sein Vergnügen etc. etc. aus? Das soll eine neue Disziplin, die Lebenshaltungslehre, dartun, deren Kenntnis in allen Schulen obligat werden müßte: wie lebt, wohnt, ißt etc. jeder Stand u. wie soll er leben? (nach dem Kriterium seiner sozialen Wichtigkeit). Hiernach hätten die Staatsregierungen die Fixlöhner zu diktieren, aber beileibe nicht selbst, ausschließlich oder überwiegend, Arbeitsgeber sein, weil sie die Waffen in der Hand u. damit die Machtmittel haben, die Lebenskultur des Fixlöhners auf Ø zu reduzieren (das Beispiel brauchen wir nicht weit zu suchen). Wer die Macht hat, der verspürt immer den Trieb, von ihr Gebrauch zu machen. Dabei ist das Naturgesetz nicht außer Acht zu lassen, daß sich die Bedürfnisse stetig nach aufwärts bewegen, damit müßte die Lebenshaltungslehre Schritt halten. Die Wirkung auf die Wirtschaft wäre, auch für die mat. Warenbesitzer, in günstigem Sinne geradezu revoluti[oni]erend, denn die Warennachfrage wäre mit der Erhöhung des Lebensstandards der Fixlöhner gigantisch. Aber diese Warenbesitzer sind für diesen Vorteil blind, ihnen ist der Spatz in der Hand lieber, sie versuchen, durch Rassenhetze u. s. w. die Massen abzulenken. Maximalpreise, Ration[al]isierung, u. dgl. sind Schläge im Wasser u. gänzlich aufzulassen [Anm.: österr. "aufzugeben"]. Es ließe sich darüber viel schmieren, deswegen will ich lieber Schluß machen.

Privater Teil: Wir bitten um Weisung bezüglich des Zimmers u. küssen euch herzlich, euch bittend, herzudampfen. eure Alten.

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