10.-12.11.47: Das Wunder des interurbanen Telephongespräches


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):




Radauti 10-12/XI 1947

Liebe Kinder, lieber Jul!

Noch ganz unter dem Eindruck des techn. Gotteswunders des interurbanen Telephongespräches, hoffe ich, daß Ihr meinen vorigen Brief erhalten habt. Du willst, lieber Julius, wieder mit deiner beabsichtigten Herreise (kleide dich gut, hier ist es kalt!) wieder eine große Gutschrift auf deiner himmlischen Habenseite schaffen, so daß sich die dortseitige Wirtschaftsabteilung wird sehr zusammennehmen müssen, um nicht außer Gleichgewicht zu geraten. Das Pro u. Contra der Wohnungseinrichtung werden wir hier persönlich durchsprechen. Die Zionisten, die von hier abreisen, haben zumeist nur ihre gesunden Glieder u. lassen keine nennenswerten Möbel oder Wohnungen zurück. Am schwersten vermissen wir, wie gesagt, Bettgestelle (Metall, samt Einlage). Für Einlagen gibt es hier einen guten Tapezierer [Anm.: österr. "Polsterer"], aber sie kosten sehr teuer. Außerdem sind wir mit Bett-Leibwäsche sehr schlecht versehen, die Mutter ebenso in d. Kleidung, mit Ausnahme der Oberkleider. Der Gedanke an unser einsames Sterben in Radauti, dabei Ihr in weiter, ungewisser Ferne, ist für uns sehr beklemmend. Aber wenn es sein muß, schlucken wir auch das herunter, nur das Abgeschnittensein von euch im Falle unser lieber Nachbar [Anm.: verm. Sowjetunion] uns dauernd zu beehren gedenkt, fällt uns schwer. Solange Ihr in Rum. seid, kommt es uns doch vor, als wohntet Ihr im Stadtzentrum u. wir in der Vorstadt. Lieber Jul! Du mußt deine Staatsbürgerschaft nach dem im Mai 1946 erschienenen Gesetz in Ordnung bringen, daß muß jeder von den verlorenen Provinzen [Anm.: Bukowina und Bessarabien]. Laß dir von deinem Advokaten das Gesuch an das Tribunal (stempel- u. taxfrei) machen u. lege gleich, nebst legalisierten Dokumentenkopien, eine im Gesetze vorgeschriebene authentische Erklärung (vom Notar deine Unterschrift beglaubigt) bei, daß du - nach einem entsprechend zugestutzten curriculum vitae [Anm.: lat. "Lebenslauf] gesetzlichen Bedingungen entsprichst u. nie für einen andern Staat optiert hast. Du kannst dann ruhig abreisen u. dich von deinem bevollmächtigten Advokaten vertreten lassen, ohne dabei zu sein. Frau Della u. ihre volljähr. Söhne, ebenso wie jedes volljähr. Mitglied der Überseedynastie Greif sollen dasselbe machen, um nicht illegal zu werden. Termin 1 Jahr ab 3/5 1947 also Ende April 1948. Die San Paoloer [Anm.: Einwohner von San Paulo] müssen die authentische Erklärung beim dortigen rum. Konsulate legalisieren, wo eventuell die ganze Sache durchzuführen ist. Bei mir war schon 1 Termin, Schlußtermin am 12/I 1948. Lieber Jul! Deine Absicht, unseren Lebensstandard zu heben ist ein schwieriges, kostspieliges Problem. Wie uns dünkt, werden wir in dieser Wohnung schon unser irdisches Dasein beschließen. Sie hat den Vorteil verhältnismäßiger Billigkeit (als Mieterschutzler zahlen wir 250 stabilis. Lei monatlich) u. ist rein. Die Fenster haben wir schon einpassen lassen u. öffnen sie im Winter überhaupt nicht, wir lüften reichlich durch die Tür. Es ist also wärmer als im vorigen Winter, zumal wir besser mit Holz versehen sind. Die 2 Hauptmängel sind 1) die Stiege, 2.) Badeschwierigkeit. Dafür ist sie insektenrein. Ad 1) kann durch ständige Bedienung die Situation erträglich gemacht werden, ad 2) mit Geld läßt sich sehr leicht eine demontierbare Brausezelle machen, wo wir uns mit gewärmtem Wasser abbrausen können. Platz ist vorhanden. Eine neue Wohnung, speziell noch möbliert, ist sehr teuer u. schwer zu finden. Da wäre es schon leichter, sukzessive hier einige Möbelstücke zusammenzukaufen, doch muß das Geld dazu in der Hand bereit liegen, da solche Aktionen Momentaktionen sind. Da du sohin durch Beibehaltung der Wohnung weniger Auslagen haben wirst, bitten wir dich, uns folgende Dinge, wenn es dir möglich ist, mitzubringen:

1.) 1 Thermometer
2.) 1 Thermos[flasche] ~ 3/4 lit.
3.) 1 Milchglaslampenschirm für Petrollampen N° 11, da solche in unserem süßen Latrinenstädtchen nicht zu kriegen sind, u. das el. Licht horrend teuer kostet.
4.) Als absolut sicheres Kurmittel f. d. Mutter (u. auch f. mich) 1 elektr. Gesichtsmasseur (bei uns f. d. Rücken zu verwenden), f. d. Radautzer Spannung (Gleichstr. 220 Volt). Jedes größ. Elektrogeschäft weiß genau, was f. Radauti geeignet ist. Mein gestohl. Apparat war von Thomson-Houston. Umständlich wird nur der Transport ad 2) u. 3) sein, wegen der Bruchgefahr. Das Thermometer nimmst du in die Tasche, den Masseur in den Koffer. Außerdem bitten wir dich, uns gleich wieder 1000 Lei zu schicken, da wir alles disponible Geld für 2 m3 Holz ausgegeben haben (2 x 00 = 1600 Lei) u. wir uns das Geld leihen mußten (kurzfristig abzugeben). So billig bekommen es nur Pensionisten, sonst kostet 1 m3 1500 Lei (Holzschneiden 250 Lei/m3). Das Geld bitte auf kürzestem Wege abzusenden, da wir in der Klemme sind. Beachte meine Mitteilungen bezüglich der Staatsbürgerschaft u. unterlasse es nicht, etwas zu unternehmen, auch den Greifs schreibe gefäll... hiervon. Unsere Palästinareise fällt nur dann außer Kalkül, wenn deiner Berechnung nach, mit Pension u. deiner Beihilfe, unsere Existenzfrage in Radauti gelöst ist. Wenn aber nicht, dann ist die Palästinareise allen anderen Kombinationen vorzuziehen. Du kennst ja die Situation u. weißt, wer jetzt Außenminister ist! Soeben herzlichst dankend die telefonisch avisierten 1000 Lei erhalten.

Wir küssen euch u. beten, daß euer Vorhaben zum Guten ausschlägt, eure Alten.

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