02.12.47: ...und das soll ein sozialistisches Regime sein.


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):




Radauti 2/12 1947

Liebe Kinder, lieber Julius!

Euer liebes Schreiben erhalten, woraus wir entnehmen, daß du, lieber Julius, wegen deines Berufes Schwierigkeiten beim Ausreisevisum hast. Wir spüren ebenfalls die Wirtschaftspolitik des "Führers" bis auf die Knochen. Er liefert die "Fixlöhner", d. h. also die Arbeitermassen, die Beamten- u. die Pensionistenschaft der Profitgier der Bauernschaft aus u. wirft sie dem Bodenkapitalismus in den Rachen, u. das soll ein sozialistisches Regime sein. In linksfaszistischen [linksfaschistischen], wie überhaupt in faszistischen [faschistischen] Staaten, muß eben täglich ein neuer Bluff das Regime über Wasser halten. Wir haben auch mit großem Kummer deine Mitteilung aufgenommen, daß du diesmal deine Wochenrate nur mit Ach u. Krach absenden konntest, u. bitten dich, lieber die Hälfte, also alle 2 Wochen, deine Rate zu senden, ohne Ach u. Krach, denn wir fühlen deine Sorgen zu sehr mit, um uns als Ursache deiner Schwierigkeiten zu wissen. Das Reorganisieren bei uns hat in Radauti geringe Erfolgschancen. Denn noch bin ich, aber auch sehr "mit Ach u. Krach", in der Lage, die Schwerarbeiten der Mutter abzunehmen, d. h. also schwere Kübel Wasser die Stiege heraufschleppen, schwere Abwasserkübel (jeder Haushalt, auch der kleinste, produziert bekanntlich Abwasser) die Stiege hinunter zur Senkgrube zu schleppen und auszugießen. Was geschieht aber, wenn ich der ich am 9/XI ins biblische Alter getreten bin, diese Schwerarbeiten krankheits- oder schwächehalber nicht mehr bewältigen kann? Da sind wir ja geliefert! Da mir (u. der Mutter) das Gehen der Herztätigkeit wegen große Schwierigkeiten macht, sind wir imstande, jeder nur einmal täglich auswärts Besorgungen zu machen. Aber zu diesen Zeiten, hier, muß man ja fortwährend auf den Beinen sein, um etwas zu erhaschen, u. ist froh, wenn man es bekommt u. bezahlen kann. Der Bluff mit "Punkten" z. Z. kommt uns gar nicht zugute, wir haben einfach hierzu das Geld nicht u. lassen die "Punkte" dem Fritz Bardach, der sich gelegentlich mit Kleinigkeiten revanchiert. Also diese Laufereien machen uns die Schwerarbeiten der Be- u. Entwässerung noch schwerer. Die erste Bedingung für einen Erfolg bei der Reorganisierung wäre also die Befreiung von dieser Häftlingsarbeit, was nur in einer be- u. entwässerten Stadt wie Timisoara sein kann. Sprachliche Schwierigkeiten würden wir dort nicht haben, da dort überwiegend deutsch gesprochen wird. Aber das "Wie" u. "Womit" - das sind Dinge, die wir ohne dich nicht erwägen können. An Brennmaterial, schweren Kleidern u. Schuhwerk werden wir dort sicher sparen, vielleicht kann ich dort auch einige ebr. Sprachlektionen haben. Über deine beabsichtigte Reiseroute wissen wir so gar nichts ... wohin soll es von Neapel aus gehen, u. warum gerade bis Neapel? Kannst du schon etwas portugiesisch? Hast du, wie ich dir schrieb, etwas in der cetatenie [Anm.: rum. "cetățenie" = "Staatsbürgerschaft"] veranlaßt? Du mußt vor der Abreise bei deinem Advokaten eine notariell legalisierte "authentische Erklärung" hinterlassen, daß du im J. 1920 in Rumänien deinen Wohnsitz hattest u. für keinen anderen Staat optiert hast. Tust du das nicht bis Mai 1948, dann wirst du illegal (Marzell [Anm.: Maximilian Hauster] ist warnendes Beispiel). Kann man nicht nachforschen, ob der arme Marzell noch irgendwo in einem Lager lebt? Hast du die Herren Greif u. die Della von der cetatenie [Anm.: rum. "cetățenie" = "Staatsbürgerschaft"] benachrichtigt? Welcher Art sind die - deiner Meinung nach nicht sehr günstigen - Nachrichten aus St. Paolo [Sao Paulo]?

Wir küssen euch, eure alten Eltern u. beten f. euer Wohl.

No comments: