19.09.47: Ha Tikwa = Die Hoffnung


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):



Radauti 19/9 1947

Liebe Kinder, lieber Julius!

Ich erfahre aus eurem lieben Schreiben mit Überraschung, daß es heute außer dem päpstlichen Kirchenstaate noch einen Staat auf der so klein gewordenen Erde gibt, der die Einreisebewilligung von der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche abhängig macht. Das zeigt nur, daß es richtig ist, wenn man Brasilien für einen faszistischen [faschistischen] Staat hält. Solche Tendenzen bleiben nicht stehen, sondern entwickeln u. summieren sich u. eines Tages erscheint ein äußerlich unschuldiges Gesetz, sei es eine Geldeinwechslung, sei es ein Konvertitengesetz u. dgl., welches die dort angehäuften Vermögen zu Mist, um nicht etwas Schlimmeres zu sagen, macht. Anders ist das Vorzeigen eines an sich wenig zu wertenden Papieres à la Schnapp [Anm.: s. auch Brief vom 15.06.46], das kann man jederzeit wieder gutmachen, zumal von einer zeremoniösen Handlung abgesehen wurde. Aber die kath. Kirche bestraft den Austritt mit Exkommunikation (Kirchenbann), u. kein Katholik, wenn er hiervon erfährt, darf dir ein Glas Wasser reichen. Hoffentlich habt ihr diesen Schritt noch nicht begangen. Du bist unser einziger Sohn, unser Kaddisch [Anm.: Heiligungsgebet im Judentum], Juden müssen nach getauften Kindern "Schiwah" [Anm.: Trauerzeit - 7 Tage - nach der Beerdigung] sitzen, wie nach Verstorbenen. Sollen wir, in religiösem Sinne genommen, kinderlos werden in unseren alten Tagen? Vielleicht genügt ein unschuldiges Stückchen Papier à la Schnapp [Anm.: s. auch Brief vom 15.06.46], der saubere Herr wohnt in Radauti u. folgt es um einen Pappenstiel aus (es ist auch den nicht wert). Wir bitten dich, zu erwägen, daß auch Marzell [Anm.: Maximilian Hauster] - wahrscheinlich - kath. getauft war u. kein gutes Ende nahm. Man soll das Schicksal nicht herausfordern. Wir beten für euch um alles Gute, u. wünschen, daß Ihr uns sehr lange überlebt. Seit der Cernautier Periode Schnapp [Anm.: s. auch Brief vom 15.06.46] ist vieles geschehen. Da wird ein 19-jähriger, entzückender Junge in Palästina wegen Waffenvorfindens bei ihm verhaftet u. zum Tode durch den Strang verurteilt. Der Großrabbiner v. Palästina, nach vielen anderen Persönlichkeiten, bittet ihn persönlich, bloß seinen Namen unter ein Gnadengesuch zu setzen, wodurch er sein blühendes Leben, das er noch gar nicht gelebt hat, retten würde. Er verweigert es und schreitet, die "Hatikwah" [Anm.: hebr. "Ha Tikwa" = "Die Hoffnung", seit 1897 die Hymne der zionistischen Bewegung] singend, zum Galgen, nachdem er die umstehenden Freunde getröstet hat mit den Worten, er sei davon überzeugt, daß bald ein lebensfähiges (er sagte: mächtiges), jüdisches Staatswesen erstehen wird. Willst du an Männlichkeit u. Charakterfestigkeit soweit hinter Dow [Genner] seel. Andenkens zurückstehen? Nach ihm taten dasselbe 4 oder 5 andere Jungen. Mit dem Geld, das dich die Reise kosten wird, gründest du in Palästina (wer ein Zertifikat bekommt, fährt gratis) deine Existenz u. bist nicht auf deine Schwäger angewiesen. Auch deine Sachen kannst du verkaufen, statt sie uns zu bringen. Wir werden schon so bis zur Palästinareise durchhalten u. brennen darauf, euch das bei eurem ersehnten Erscheinen bei uns noch begreiflicher zu machen. Nach St. Paolo [Sao Paulo] kannst du uns ohnehin nicht beziehen, da wir zu einem Glaubenswechsel in dem von dir geplanten Stile nicht zu haben sind.

Liebe Schella! Dein Brief hat uns sehr gerührt, wir empfinden dir dein Sich-Einsamfühlen nach, denn auch wir möchten nicht einsam unsere letzten Jahre dahinleben. Der Taufzwang hat uns jedoch sehr ernüchtert. Wir sind davon überzeugt, daß deine ganze Familie einmal nach Palästina kommen wird. Ihr wäret dann nur die Quartiermacher, die Chaluzim [Anm.: frühe jüdische Pioniere] dortselbst. Jetzt, wo die ganze Judenschaft fiebernd das Glück eines eigenen, freien Staates erwartet, wäre ein Abfall ein Anachronismus etwas Unbegreifliches. Das Wirtschaftsgenie deiner Brüder wird sich auch, u. zw. erst recht, in Palästina glänzend bewähren. Wir freuen uns auf euern angekündigten Besuch herzlich u. küssen euch, eure Alten.
Bis zu unserer Palästinareise bleiben wir schon so in unserer Wohnung hocken, wie sie ist.

Bitte sofort Antwort.


Mutter weint schon über euren geplanten Übertritt u. meint, es wäre das Blut Emil Fleischers in dir erwacht.

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