18.12.48: Hier ist doch das reinste Dorf, wo wir uns wie deportiert vorkommen.


Elias Hauster an Julius Hauster:



Radauti 18/12 1948

Lieber Jul!

Ich will dir heute etwas über meinen Gesundheitszustand schreiben. Ich hatte einige Tage geschwollene Waden u. Füße. Ich nahm Digitalis, doch mit negativem Erfolge. Da rief heute die Mutter den Dr. Schächter, Chefarzt der staatl. Krankenkasse (die vis a vis unserem Hause installiert ist) u. das Ambulatorium der Kultusgemeinde. Wenn er etwas verschreibt, dann verabfolgt er auch - auf Verlangen - die Medikamente auf Kosten der K[ultus]. Gem[einde]. gratis, was pekuniär [finanziell] sehr ins Gewicht fällt. Er konstatierte eine leichte - vielleicht sagt er mir nur so - Schwächung des Herzmuskels u. meint, das sei nicht verwunderlich, er selber hätte auch nicht den Herzmuskel, den er vor 10 Jahren hatte. Auch eine leichte Verschleimung sei noch bei mir vorhanden. Außer den Medikamenten, die er mir zu verschreiben gedenkt, verordnete er mir eine 3-4 tägige Milchkur als modernes Verfahren in solchen Fällen (Candé oder Canné-Behandlungsmethode), täglich ausschließlich Milch (1 1/2 lit) als Nahrung, dazu als Zugeständnis ungesalzenen Kuhkäse. Er wird mir nachher einen Diätzettel geben u. empfahl mir, in Zukunft überhaupt kein Fleisch zu essen. Bettlage sei während der Milchkur zu empfehlen, da die Nahrungseinschränkung zweifellos etwas schwächt. Morgen früh, so Gott will, beginne ich mit der Milchkur. Nach dem derzeitigen Stande der Wissenschaft sei eine völlige Heilung nicht zu erwarten, ich müsse trachten, die Schwächung durch eine ruhige Lebensweise u. Diät zu kompensieren. Nun, lieber Jul, siehst du, daß ich das h[iesige]. o[bige]. Sachalinklima [Anm.: russische Insel im Pazifik, ab dem 19. Jahrh. Strafkolonie für russische Gefangene] unmöglich weiter ertragen kann: hier muß ich schwere Kleider tragen, im Winter kann ich hier nicht an die Luft kommen, u. der dauert hier 5 Monate! Hier muß ich mich nachts schwer bedecken. Mit wem man spricht, fast jeder hat eine kalte Wohnung, auch wir! Unsere Wohnung ist sogar in der näheren Umgebung als kalte Wohnung bekannt, aber in der Dachbodenwohnung bei Weinschenker war es noch kälter! Mit fortschreitendem Alter sucht man überhaupt die Wärme! Im h. o. Asyl war der 96 jährige, alte Hain, der Vater des Dentisten. Eines Tages bestieg er in Begleitung eines bezahlten Mannes den Zug, sein Sohn erwartete ihn u. führte ihn direkt in ein gutes, jüd. Spital, wo ihm genaue Untersuchung u. sorgfältige Behandlung zuteil ward, jetzt ist er im Elisabetheum. Ich denke, bei mir wäre, außer dem Elisabetheum, derselbe Vorgang zu empfehlen. Während man in Bukarest noch die welken Blätter in den Gärten zusammenkehrt, ist hier schon längst ganz tiefer Winter! Hier ist doch das reinste Dorf, wo wir uns wie deportiert vorkommen, Bucuresti ist doch ein Zentrum des Wissens, auch des medizinischen! Vielleicht kommt dort solche Behandlungsmethoden (Bestrahlungen etc.) auf, wodurch mein Übel behoben werden kann! Wie mich bedünkt, ist die ganze Geschichte ein Grippenrest, u. wo bekommt unsereiner denn leichter die Grippe, als im Sachalinklima? … Du kannst dir denken, was da der Mutter, diesem schwächlichen, kränklichen Persönchen, aufgelastet ist: der ganze Außendienst (Einkauf, Behördenverkehr, Kartelle [Bezugsscheine], Brotfassung etc.) u. dazu noch das Kochen, Feuern, Abfallstoffe-Beseitigung bis zum Düngerhaufen u. Handreichungen an mich. Wie ich noch auf den Beinen ins Freie konnte u. bevor wir die Hilfskraft in Form eines kleinen rum. Jungen ausfindig machten, half sie mir auch beim Wasser- u. Holztragen. Sind das Arbeiten für uns? Das ist ja wirklich u. wahr eine bittere Deportation, die wir abbüßen! Das hättest du bei deiner (Ab-)Kanzlerreise sehen sollen, u. nicht eigens herkommen, um mir, wie du es nanntest, das Dichten zu verbieten! Und das waren doch nur frühere Spielereien, die ich stückweise in meinen Briefen an dich nur abzuschreiben hatte! Du mußt daher unbedingt zu Weihnachten herkommen (in warmer Kleidung!) u. die ganze Umsiedlungsaktion leiten. Wir haben hier einen sehr reellen, jüd. Menschen in d. Nähe, der unsere hier zu belassenden Habseligkeiten übernehmen u. allmählich abverkaufen kann, um uns den Erlös einzusenden. Er kann auch die Vertretung deines Petrolherdes übernehmen. Bringe unbedingt das Bulletin [Anm.: rum. "Personalausweis"] d. Mutter mit, du weißt, was davon abhängt! Vielleicht schickst du es vorher ein, denn wir müssen damit neue Brotkartelle [Bezugsscheine für Brot] beheben.

Wir küssen dich, deine Alten.


Komme zu Weihnachten unbedingt! Ziehe Trikotwäsche an! Ohrenschützer!

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