02.05.48: Auschwitz!


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):





Radauti 2/5 1948

Liebe Kinder, lieber Julius!

Am 30/4 d. M. kam mir über eine früher meinerseits gerichtete Anfrage (Adresse bei der Kultusgemeinde erfragt) eine Antwort über den armen Marcel [Anm.: Maximilian Hauster] zu, deren Kopie ich dir, lieber Julius, beilege, u. deren Inhalt meinen in diesem Punkte ohnehin wunden Gemütszustand derart zerrüttet hat, daß ich keinen ruhigen Atemzug finden kann. Ich werde die Nachforschung über sein weiteres Schicksal fortsetzen u. zw. werde ich dieselbe Institution anfragen, ob Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz existieren - vielleicht in den Lagern der okkupierten Zonen - u. auf welchem Wege ich ermitteln könnte, ob jemand von ihnen zufällig über seine letzten Tage etwas weiß, ob er überhaupt dort angekommen ist oder auf dem Wege als erfrorene oder erstickte Leiche aus dem Waggon geworfen wurde - zum Hunde- u. Rabenfraß. Meine Selbstvorwürfe, warum ich ihn nicht für die munca [Anm.: rum. "Arbeit", verm. Arbeitsdienst] habe einberufen lassen, kommen nicht zum Schweigen. Ing. Holzhacker ist von dort zur Munca [Anm.: rum. "Arbeit"] gefahren (er war allerdings in allen Stücken legal) u. hat sie sicher frisch u. gesund überlebt. Ich befürchtete, daß ihm [Anm.: Maximilian Hauster] das Konsulat eine Beschreibung als Militärflüchtling mitgeben wird (das war er doch!) u. daß er von der zum Hasse aufgepeitschten, in erbittertem Vormarsch befindlichen Truppe kurzerhand fusilliert werden wird. Ich hätte mir diese Gerichtsbarkeit nicht anmaßen, vielmehr alles zu seiner Rettung versuchen sollen. Das wäre nur so zu tun gewesen, wenn ich Umfrage bei seinen Freunden hielte, z. B. bei Fischmann. Jugend findet für Jugend immer das Richtige. Du hattest, wie zumeist jeder, genug mit dir selbst zu tun, u. ich - damals 63 Jahre alt, - war von den heranstürmenden u. überstandenen Ereignissen (es war nach dem Ghetto) so konfus, daß ich keinen klaren Gedanken zu fassen vermochte. Heute wissen wir, daß die polnischen Lager Vernichtungslager waren, damals war diese Zweckbestimmung durch die rum. Preßpropaganda [Pressepropaganda] sorgfältig kamufliert [verborgen]. In den westlichen Ländern, z. B. Holland, wußte das jedes Kind. Auf seinen einzigen Hilferuf - er hat gleich einem Ertrinkenden die Hand aus den Wellen gestreckt - antworteten wir einfach frankiert, da wir zu einem rekommandierten [Einschreiben] Briefe nicht das Geld u. auch nicht die Kraft hatten, uns bei der damals enormen Postbelagerung heranzudrängen. Übrigens ließ das Bajonett Leute mit Judenzeichen nicht ins Postgebäude hinein (vielleicht mit Bakschisch ja, den hatten wir wiederum nicht). Monate nachher publizierte die Post, das Publikum möge aufhören, nicht rekommandierte Briefe ins Ausland abzusenden, da sie nicht weiter befördert werden. Wer weiß also, ob er unsere Antwort überhaupt erhielt (an Frl. Weikmann adressiert). Eine solche Verkettung verhängnisvoller Umstände deutet auf Bestimmung hin, daß ihm der Tod von Henkershand beschert war. Aber meine Selbstvorwürfe kann ich nicht zum Schweigen bringen. Hier herrscht eine kühle, bleierne Dürre. Man befürchtet eine landwirtschaftliche Kalamität, um nicht zu sagen: Katastrophe. Fast kein Sonnenstrahl - aber auch kein Regentropfen, bald 2 Monate. Der Möbelvermittler Geller (ein junger Bursche) suchte mich auf, ich versprach ihm etwas, sobald ich von euch Zuschuß erhalte (hierfür ist bis zur Pensionsfassung Zeit). Die der Hausfrau [Vermieterin] in Aussicht gestellte Frist von "cca 10 Tagen" ist um. Hoffentlich macht es dir keine Schwierigkeit, wenigstens sie zu befriedigen. Während ich mit Fr. Ellenbogen debattierte, ob heute (Sonntag) ein Fuhrwerk sein wird, wie man mit ihm aussprechen soll, etc. etc. hören wir ein Fuhrwerk kommen, am Bock sitzt Fr. Ing. Hauster Marie samt dem Fuhrwerker u. einem Träger, hinten der Trumeaukasten [Anm.: Möbelstück] der Frau Laufer. Es mutete wie ein Wunder an. Wir sind alle von dem Stück entzückt, es ist das beste der ganzen Einrichtung. Transp.-Kosten 150 Lei. Vielleicht kann bei uns noch alles gut werden? Die Küche wird hierdurch bedeutend wohnlicher. Was du unter "diverse Provisionen" verstehst, ist mir unklar. Dem Sternlieb gebührt nichts, weil der von ihm vermittelte Schrankkauf nicht zustande kam. Liebe Kinder! Wir sind mit der Seele bei euch u. eurem Bangen um jedes Stück, das euch lieb ist. Gott möge euch endlich auf einen Stand bringen, wo Ihr stabilen Wohlstand genießt u. für blühenden Nachwuchs - in eurem eigenen Interesse - sorgen könnt.

Wir küssen euch, eure Alten.



Kopie

Hilfsstelle für die jüdischen Opfer des Krieges [Anm.: frz. "AIVG = Aide aux Israélites victimes de la Guerre"]
Abteilung: Suchanfragen und Repatriierung, dem S.E.R. [Anm.: frz. "Service d’Évacuation et du Regroupement des Enfants et Familles juifs" = Dienst zur Evakuierung und Zusammenführung jüdischer Familien] angegliedert

Abteilung Suchanfragen:
76, Rue Mercelis
Telefon 12.90.26

Brüssel, den 21.04.48

Referenz 29334 (in der Korrespondenz immer anzugeben)

Herrn
Ing. Elias Hauster
16, rue Coșarilor
Rădăuți
Rumänien

Sehr geehrter Herr Hauster,

in Beantwortung Ihres Schreibens vom 2. Okt. bedauern wir, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Sohn, Herr Hauster, Maximilian, geb. in Czernowitz am 26.11.09, am 15.1.43 von dem Lager Malines mit dem Transport XIX/609 deportiert wurde. Dieser Transport wurde nach Auschwitz geleitet.

„Arbeitseinsatz Ost“ bedeutet: Deportation in ein Arbeitslager in Osteuropa.

Die nach Belgien überführten Kriegsverbrecher werden in Kürze abgeurteilt; wir wissen jedoch nicht, ob sich der geannte Frank unter den festgenommenen Personen befindet.

Was die von Ihrem Sohn zurückgelassene Habe anbetrifft, müssen wir Ihnen mitteilen, dass die Gestapo üblicherweise am Tag nach der Verhaftung des Betroffenen dessen Eigentum einzog; danach wurde die Wohnung versiegelt.

Wir haben den Versuch unternommen, Tema Weigman unter deren letzten Adresse Charleroi, 200, rue Grande, wiederzufinden. Wir haben jedoch erfahren, dass sie in dem Einwohnerregister gestrichen wurde. Sie ist bisher nicht zurückgekehrt.

Mit vorzüglichen Grüßen
Abteilung Suchabfragen
S. S. Louis Jorisch

Kopie

Ich bestätige den Empfang der Vorauszahlung von Lei 1.000,-- (TAUSEND LEI) für die Miete meiner Wohnung in dem Objekt Dr. Jancu Nistor Straße 55 (2 Zimmer und Nebenräume). Weitere Lei 1.500,-- sollen aus Bukarest am 22. Apr. 48 (erhalten, gez. Bălineanu Victoria) folgen und weitere 1.500,-- in ca. 10 Tagen.

Damit ist die Miete bis zum 1. Juli 1948 bezahlt.

Rădăuți, 20. April 1948

gez. Bălineanu Victroria



P. S. Ich bitte dich dringend, dich ein einziges Mal bei meinem Bruder Str. Vulturilor 69 blicken zu lassen. Wer weiß, wann das einmal sein kann ... Er möge sich statt am Anblicke seines verschollenen Sohnes einige Augenblicke über dich freuen. Wenn du in Verlegenheit bist, wo etwas bis auf weitere Disposition zu lassen, kannst du eventuell ihn in Betracht ziehen.

Vater

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