28.10.48: Wie konnte das soweit kommen?


Marjem Hauster an Julius Hauster:





28/X 1948

Liebster Julius!

Der Vater stellt mir seine Handschrift zur Verfügung, aber ich, deine Mutter schreibe dir. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr gewinnt deine eheliche Katastrophe über mich Macht. Ich kann den Gedanken nicht loswerden, daß du den größeren Teil der Schuld trägst. Eine Ehe ist, nach meiner dir vielleicht veraltet erscheinenden Meinung, kein leichtes Kinderspiel, sondern eine Gemeinschaft fürs ganze Leben, eine Schicksalsgemeinschaft, die den Zweck hat, in späteren Jahren nicht allein dazustehen. Das Alleinsein ist eine der furchtbarsten Altersplagen. Da müssen dann beide Teile vom ersten Momente ihrer Gemeinschaft an daran Mühe aufwenden, sich aneinander anzupassen. Gegenseitige Willensunterordnung muß sein, um ein erträgliches Zusammenleben zu erzielen. Ist dies, was dich anbetrifft, geschehen? Wie konnte das soweit kommen? Schella war und ist ein sehr tüchtiger, weiblicher Mensch, mit einigen Schwächen vielleicht. Aber bist du vollkommen? Wer ist vollkommen außer dem Herrgott? Glaubst du, daß die, welche du als Nachfolgerin wählen wirst, ganz vollkommen u. fehlerlos sein wird? Wenn du uns das persönlich plausibel machen könntest, wäre es ein Lichtstrahl, der in unser Leben fällt. Ist dir das aber zu kostspielig u. schwer, dann rationiere uns wenigstens nicht so streng mit Nachrichten u. bringe uns wenigstens nach u. nach schriftlich bei, wie das alles geschehen konnte. Es küßt dich deine um dich sehr tief besorgte Mutter.

Was ist jetzt das Schicksal der Schella? Hat sie sich schon wieder verheiratet?

Elias Hauster am Julius Hauster:

Lieber Sohn!

Was ich dir in punkto deiner auseinandergegangenen Ehe schreiben wollte, hat mir Mutter schon vorweggenommen. Mir bleibt nur noch übrig, dir von unseren Ausblicken zu schreiben. Ich möchte wissen, ob du entschlossen bist, im Lande das Leben eines Fixlöhners zu führen u. hier zu bleiben, oder ob du es vorziehst, nach Eretz [Land Israel] zu übersiedeln. Wir Alten werden uns nach dir richten müssen, obzwar uns das Verbleiben hier durch das Regime unmöglich gemacht wird. Denn unsere Lebensportion ist so bemessen, daß wir uns das Essen (sehr bescheiden, fettlos, nur satt) bestreiten können. Wollte ich mir eine Hose anschaffen, dann müßten wir hungern. Unsere Habe ist unter verschiedenen Vorwänden geplündert, wie lange kann man ein Kleid tragen, bis es übel riecht u. in Fetzen herunterhängt? Das ist das Schicksal, das uns hier zugedacht ist. Ich hoffe, auch in Eretz [Land Israel] nicht Hungers zu sterben, zu verlieren haben wir Alten daher hier nichts. Ich leide hier z. B. sehr unter dem Mangel eines T[h]ermos. Ist es dir wirklich unmöglich, mir per Gefälligkeitskurier ½ lit. T[h]ermos zukommen zu lassen? Er ist in Radauti absolut nicht zu bekommen, sonst würde ich dich nicht belästigen. Ich wollte dir schon schreiben, daß du uns die Kosten des T[h]ermos von deinem uns zugedachten Zuschusse in Abzug bringen kannst, aber erfreulicherweise ist es hierfür diesmal zu spät, denn soeben haben wir herzlichst dankend deine telegraphische 2000-Leisendung erhalten. Wir haben das Bezugsrecht für 3000 kg Holz f. d. ganzen Winter, versorgt sind wir von früher her bis 1. Dezember. Wir studieren, was wir mit dem Holzbon anfangen sollen. Per Raummeter kommt es auf 740 Lei frei ins Haus zu stehen. Wir danken dir nochmals u. küssen dich, deine Alten.

Bitte unbedingt um ausführliches Schreiben!

P.S. Bezüglich der Schuhe: meine in Cernauti i. J. 1943 gekauften Schnürschuhe (Pseudo-Goiserer)
[Anm.: Schnürschuhe - handgefertigt - aus Bad Goisern, Österreich] aus Schweineleder mit Gummi auf Pappsohlen, haben sehr schön bis heute gehalten, sind aber jetzt nur bei Trockenheit oder glattem Schnee brauchbar, da eine Sohle ganz gespalten ist. Reparatur ist nicht lohnend bezw. unmöglich. Ich helfe mir bei feuchtem Wetter, Schneepatschwetter etc. mit deinen Sommerhalbschuhen, die noch sehr gut sind u. die ich bekanntlich mit neuen Gummisohlen versehen habe. Ich denke, daß du deine Goiserer in der Wüste, Radauti genannt, selbst wirst tragen müssen. Nur wenn du das absolut nicht zu tun beabsichtigst, empfiehlt sich die Hersendung. Bezüglich der Ausreise: Inzwischen müssen wir uns ja "Masel Tow" sagen, denn der Judenstaat ist geboren worden. Vielleicht nimmst du das Ausreisevisum dorthin? Das bekommst du sicher. Von dort kann man zu Wasser oder zu Luft eher weiterkommen. Bitte diese Möglichkeit ernstlich zu erwägen. Noch lange Zeit in Europa zu verzetteln erachte ich für sehr riskant.*

Küsse die Alten.

* Gerade die Visumverweigerung ist höchst verdächtig. Leute sprechen uns spontan an: "Ihr Sohn soll hier nicht bleiben". Wir reden natürlich von eurem Vorhaben zu niemandem ein Wort.

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