17.06.47: Darauf kann ich Gift nehmen!


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):




Radauti 17.6.1947

Liebe Kinder, lieber Jul!

Heute das Pakettaviso erhalten u. Pakett behoben, Verschlußplomben unverletzt, sehr gut verpackt. Viel herzlichen Dank für den Inhalt samt Lesestoff (7 Broschüren) und Brief. 2 Millionen dankend erhalten, es sind dieselben, die ich schon einmal bestätigt habe, + der 2 Millionen, die inzwischen ankamen. Es wäre trotz guten Verschlusses doch gut gewesen, ein Inventar deinerseits - lieb. Jul. - beizulegen. Da dies unterblieben ist, zähle ich den Inhalt auf: 3 Herrenhemden, 1 [...] [...]hemd, 1 Blouse u. 1 Combination f. d. Mutter, 4 Maggiwürfel, 1 halbes Päckchen Tee (unverklebt), 1 Fläschchen Medikament, 1 Paar weiße Schuhe. Auf den Inhalt des Briefes zurückkommend, habe ich mir nur erlaubt, dich zu meinem "Lesewurzen" zu machen, weil du mich einmal direkt dazu auffordertest: du schriebest, ich solle dir fleißiger Korrespondenz zukommen lassen, "meinetwegen auch Erfindungen, Gedichte, etc." Und Gedichte sind ja auch Erfindungen, ja manchmal werden sie später überholt als technische Erfindungen (Zeppelin!). Nun aber will ich dir kein Mißbehagen mehr verursachen, denn Gedichte sollen nur dem, der hierfür empfänglich ist, ästethisches Vergnügen bereiten. Dort, wo der gegenteilige Effekt erzielt wird, soll der Dichter seine geistige Saat lieber verdorren lassen, als ausstreuen. Übrigens ist Mutter mitschuldig: Sie machte mir immer Vorhaltungen, wenn ich einmal Raummangelshalber die liter. Beilage unterließ. Und oft hatte ich von unserem neuigkeitsarmen äußern Leben so wenig zu berichten, daß ohne lit. Beilage meine Korrespondenz sehr dürftig u. geistlos ausgefallen wäre. Jetzt komme ich ohnehin sehr selten dazu, mich mit Poesie (eigentlich ist es nur eine Übersetzertätigkeit, wenn man dies so nennen darf) zu befassen. Was soll ich in den wenigen halben Stunden, die ich als Pensionist ja schließlich doch frei habe, anfangen? Jedes Tierchen hat sein Pläsierchen, hier gibt man für einen Platz beim Fußballmatch [schwere] Tausender aus. Rauchen u. Trinken ist zu kostspielig, u. so bleibt mir nichts übrig, als mich geistig (ohne Getränke) zu berauschen. Was die Entlastung der Mutter betrifft, habe ich ihr alle Tätigkeiten abgenommen, die ich für sie machen kann: ich besorge die Bewässerung (tgl. 2 - 3 Eimer à 28 kg Wasser vom Brunnen, 5 m tief, in den 1. Stock), die Entwässerung (tgl. 3 Eimer à 25 kg samt menschl. Abfallstoffen vom 1. Stock in die Latrine beim Stall), das macht im Jahre ca. ¼ Million mkg [Anm.: Meterkilogramm, Maßeinheit für Arbeit], für das Herz eines 69 jährigen, leidenden Menschen eine ganz respektable Kraftleistung. Außerdem fege ich die Stuben, bringe Holz vom Boden, entasche die Heizstätte, bürste jeden Kartoffel, da wir sie mit der Schale essen, wasche u. hoble den Salat, bringe auch von auswärts Einkäufe von Greislereien [Anm.: ostösterr. "Krämerläden], nur am Markt kann ich nicht kaufen, das treffe ich nicht, auch Fleisch muß die Mutter allein kaufen, sie kocht u. wäscht das Geschirr. Früh u. abends mache ich die "Betten" (Pritschen), revidiere die Holzteile der Pritschen. Mit einer von uns angeschafften Stielbürste wasche ich die Fußböden. Wäsche zu waschen, treffe ich leider nicht, aber ich bringe das Wasser dazu u. davon und biegle kleinere Sachen. Was soll ich sonst noch tun? Also, das mit der Lesewurzerei "hört" für dich vollständig auf, du kannst ganz außer Sorge sein, das hättest du längst haben können, wenn du nur den leisesten Wunsch geäußert hättest. Was die Ratschläge für dein Privatleben betrifft, muß ich mich wegen der optischen Täuschung bei dir entschuldigen: ich bildete mir ein, daß auch wir einen Teil deines Privatlebens bilden u. somit auch die Beziehungen zwischen den andern Teilen deines Privatlebens einer näheren Erörterung unterziehen dürfen: soll beileibe nicht mehr geschehen. Die Jawneh Prämie
[Anm.: s. Brief vom 14.11.46] ist für mich eine so gewaltige Frage (nur die Zuerkennung, das Geld kann sich der Arbitrage-Referent behalten), daß von ihr unser (mein u. der Mutter) Wohl u. Wehe abhängt. Als lit. Preisträger erhalte ich Dollar-Subventionen von amerik. literarischen u. Hilfsgesellschaften, darauf kann ich Gift nehmen! Aus deiner in Aussicht genommenen Auslandsreise entnehme ich, daß ich mit meinem polit. Exposee doch nicht ganz unrecht hatte. Gut, du willst den Gefahrenherd verlassen (hat dir Tante Gusta mündlich mitgeteilt, daß bei mir im J. 1945 von gewisser Seite nach dir gefragt wurde? Ich sagte, du wärest vermutlich in Palästina.). Und wir sollen wieder von dir abgeschnitten sein? Das können wir auf keinen Fall riskieren. Du weißt, dass der "Kontinent Russland" bei sich Hilfsaktionen, Joint[Anm.: Kurzform von American Jewish Joint Distribution Committee]-Sendungen, etc. nicht zuläßt, denn "Rußland hat so etwas nicht nötig, dort geht es jedem gut, es gibt dort keine Hilfsbedürftigen", lautet dort die Devise. Bei Dollarsendungen erhält man dort 5 Rubel für 1 Dollar ausbezahlt. Aber vom Geldstandpunkte abgesehen: eine 2. Periode, wie 1944 - 1946, wo eine russ. Grenze zwischen euch u. uns lag, können wir nicht mehr durchmachen. Es mögen verschiedene Länder, Grenzen, Meere u. Kontinente sein, nur keine russ. Grenze. Außerdem wollen nicht wieder in ein kriegerisches Operationsgebiet geraten, absolut nicht! Bevor du abreisest, muß unsere Palästinareise auf Grund eines Zertifikates gesichert sein. Dazu bietet wieder die Jawneh-Prämie [Anm.: s. Brief vom 14.11.46] den sichersten - sagen wir: Vorwand. Wo soll sich ein ebr. [Anm.: "hebr."] poetus laureatus [Anm.: lat. "lorbeergekrönter Dichter"] sonst geistig ausleben können, als in Palästina? Dazu ist eben das Wort "laureatus", der poet. Lorbeer in Form einer Prämie, ein unerläßliches Erfordernis, schiebe daher gütigst alle Aktionen für uns auf u. verwende deinen ganzen Einfluß nur auf diese Aktion, ich bitte dich darum inständigst! Der Referent soll die paar Schreibfehler, die sich vielleicht eingeschlichen haben, nur herzhaft korrigieren, es wird sich für ihn lohnen! Was den Gesundheitszustand der Mutter anbelangt, sind es Altersbeschwerden, die durch Diätmangel (wie soll man in einer Hungersnot Diät halten?) verschärft werden. Schrotbrot, Butter u. Schmetten [Anm.: ostmitteld. "Sahne"] sind für uns unerschwinglich, wir sind mit dem bisschen Malai [Anm.: rum. "mălai" = "(Mais-)Mehl"] u. den Paar Kartoffeln, die wir zum Stückchen Fleisch kaum auftreiben können, zufrieden resp. müssen es sein. In Palästina, wo "Milch u. Honig fließen" u. Orangen haufenweise daliegen, wird es natürlich anders sein. Wie können von Buk[arest]. aus Metallfadenlampen unzerbröckelt kommen? Ich denke nur metallisierte Kohlenfadenlampen! Ich werde die Fühler ausstrecken. Um 400000 Lei erhält man anstandslos Lampen bei Beer. Nächstens Weiteres.

Wir küssen euch, eure Alten.



Mutter dankt der Schella besonders f. d. Paar Zeilen.


P.S. Apropos "Jawneh"[Anm.: s. Brief vom 14.11.46]. Sollte mein Konkurrent ein poetischer Matador sein, der schlechterdings nicht übergangen werden kann, dann bitte ich dich, eine Teilung anzuregen, da bei mir die Prämiierung die Hauptsache ist u. ich auf den Gegenwert von ½ kg Maismehl von vornherein verzichte. Der Jawneh-Preis [Anm.: s. Brief vom 14.11.46] ist, wie gesagt, für mich der Zauberschlüssel zu meiner Existenzmöglichkeit u. wird sich sicher rentabler erweisen, als der Lampenabsatz im halbzerstörten Latrinenstädtchen Radauti. "Nach Schluß der Briefredaktion" inzwischen der Rest angekommen, also im Ganzen 4 Millionen, wie avisiert, dankend erhalten.

Mutter ist im Schreiben schon ganz aus der Übung gekommen.

Meine innigst geliebten Kinder. Für reichen Liebesgaben danke ich herzlich. Die Nachrichten über euer Wohlbefinden sind der Lichtblick meines Lebens. Dir liebe Schella danke ich besonders daß ich nicht so elend bin wie meine Leidensgenossinnen. Ach wie ich die armen Frauen bedaure [...] doch bessere Frauen die können nicht einmal einen Rettig kaufen. Mein Einkauf ist auch sehr beschränkt aber ich freue sehr wenn heute zum 1 mal ich ein paar Rettige u. Zwiebel kaufen kann. Junge Kartoff. 120000 Lei/kg für eine Suppe nur 30000 Lei. Küße innigst Mutter Zila Della u. die Kinder. Sind alle prächtige Menschen

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