04.11.47: Der Gehilfe und der andere Mann


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):






Radauti 4/11 1947

Liebe Kinder, lieber Jul.!

Wir bestätigen mit herzlichem Danke den Erhalt des Betrages v. 1000 Lei, sowie des Briefes samt Lichtbild. Der lieben Schella steht der harte Bukarester Lebenskampf auf der Stirne geschrieben: Sie sprüht vor Mut, Ernst u. Energie. Den Inhalt des Briefes haben wir mit gemischten Gefühlen aufgenommen: Freude über euer Herkommen u. Seelenschmerz ob eures neuerlichen Entwurzeltwerdens. Es ist zu wünschen, daß Ihr jetzt in Amerika dauernd Wurzel fasset, denn der Baum muß es, um Früchte zu tragen. Und Ihr wollt doch mit Gotteshilfe u. mit unserem Segen, sofern wir zu segnen würdig sind (die Mutter bestimmt!) eine Familie gründen, um im Alter nicht einsam dazustehen! Einsamkeit ist eine schwere Lebensplage. Nur fragt es sich, ob du nicht vom Regen in die Traufe kommst. Rumänien, einst ein Satellitenstaat des Gehilfen [Anm.: verm. Adolf Hitler], ist jetzt ein solcher Staat bei einem ganz andern Manne [Anm.: Josef Stalin]. Nur just mit diesem hat jetzt Brasilien die diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Diese politische Krise wird nicht stationär bleiben, sondern sich - planmäßig - weiter entwickeln. Bald kommen auch die Satellitenstaaten dran, wie es bei Jugoslawien u. die Chechoslovakei schon der Fall ist. Du könntest dann - Gott behüte - als Untertan eines feindlichen Staates dort in ein - vielleicht in einer ungesunden Tropengegend gelegenen - Konzentrationslager kommen. Von Lägern hast du ja schon reichlich genug! Du mußt dir daher noch in zwölfter Stunde reichlich die Sage überlegen. Was gedenkt die überseeische Dynastie Greif in einem solchen Falle zu tun? Was uns betrifft, wären wir ohne weiteres bereit, nach Palästina zu fahren, wenn wir wüßten, wie dort unsere materielle Existenzfrage geregelt werden kann, obzwar, wenn sich die Verhältnisse hier weiter entwickeln, wie bisnun, auch mit der Pension kein Auslangen gefunden werden kann (dies ist schon jetzt der Fall, nur eure Zuwendungen reißen uns heraus) - daß die Jointhilfe [Anm.: Kurzform von American Jewish Joint Distribution Committee] hier völlig aufgehört hat, weil bei der Stabilisierung [Anm.: Währungsreform vom 15.08.47 mit einem Umtauschverhältnis von Lei 20000 : 1] ihr ganzes Vermögen unter Sperre gelegt wurde (ohne Aussicht, je etwas herauszubekommen), das wißt Ihr ja. Auch in R[ußland]. wird keine Hilfe zugelassen, denn "dort geht es jedem gut, es gibt keine Hilfsbedürftigen." Wer wird sich hier um uns umschauen, wenn wir alten, durch 2 Weltkriege, 6 Besatzungswechsel, einige Inflationen, einige Pensionseinstellungen, Judenverfolgung mit Ghetto, ganz mittellose Austreibung [Vertreibung] (vulgo [Anm.: lat. "gemeinhin"] Repatriierung) etc. etc. mürbe geklopften Leute erkranken. In Palästina gibt es Hadassah[Anm.: Name einer zionistischen Frauenbewegung]-Spitäler, Hadassah-Kranken- u. Fürsorgeschwestern, etc. Aber wie gesagt: Die materielle Existenzfrage in Palästina muß vorerst gelöst werden. Ich lege dir den jüngsten Brief der Tante Gusta bei, worin sie bittet, ihr ihre Pensionssorgen lösen zu helfen. Sie, u. auch Ihr, müßt neuerdings um Zuerkennung der rum. Staatsbürgerschaft einreichen. Für Tante Gusta werde ich das Erforderliche von hier aus veranlassen, du aber mußt die Sache einem sehr tüchtigen, nicht ausbeuterischen Advokaten übergeben u. ihm eine "authentische (notariell legalisierte) Erklärung" im Sinne des Gesetzes vom Mai 1946 hinterlassen, damit du nicht bei der Verhandlung persönlich anwesend sein mußt. Was den armen, verschollenen Marcel [Anm.: Maximilian Hauster] betrifft, bitten wir dich, zu erkunden, wie man in die Namensliste der noch in deutschen Lagern verbliebenen Deportiertenreste Einsicht nehmen kann: 5-10 % Wahrscheinlichkeit, ihn vielleicht dort noch lebend zu finden. Wir betrauern ihn längst als toten Märtyrer. Auch vergewissere dich, wohin er von Mecheln [Anm.: s. Brief vom 04.07.47] aus verschifft wurde. Eine Verschickung am 15. Jänner, noch nach 1 1/4 jähr. Arreste in seinem herabgekommenen Zustande u. seiner wahrscheinlichen Ausrüstung, dazu die Fahrgelegenheit (Menschenviehwagen), wenn nicht Vergasungsautos, war schon an u. für sich ein vorbedachter Mord. Wenn du nach Radauti kommst, mußt du deine Bergsteiger hier allein tragen, bei dem tiefen Kot oder Schneewasser. Sonst würden wir dich bitten, sie als Pakett vorauszuschicken, u. für die Mutter ein Paar (auch getragene) Wollhandschuhe beizupacken, nebst einem Päckchen Sacharin. # Auch die liebe Schella soll in warmem […]-Schuhwerk u. ebensolcher Kleidung kommen.

# (Bitte Thermometer persönlich mitzubringen)

Möbel (mit Ausnahme der Betten) gehen uns hier weniger ab, als Unter- u. Bettwäsche deren Mangelhaftigkeit uns unsern Zustand als Entwurzelte so recht vor Augen führt. Solltest du dich für unsere Palästinareise entschließen, dann schicke lieber alles für uns bestimmte mit einer Speditionsgesellschaft nach Palästina voraus, zum weitern disponieren dortselbst. Wir küssen euch u. wünschen bestes Gelingen all eurer Pläne, die zum Guten ausschlagen sollen.

Eure Alten.

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