01.06.47: Der geistige Versumpfungstod


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):





Radauti 1/6 1947

Liebe Kinder, lieber Jul!

Nach dem Telefongespräche, das persönlich mein Gemüt aufrichtete, schließe ich, daß du, lieber Jul., 1/ mit materiellen Unerquicklichkeiten kämpfst. Umso brennender ist mein Wunsch, dich zu entlasten. Ich werde mich jetzt wieder um einen Jawneh-Preis [Anm.: s. Brief vom 14.11.46] bewerben, das Material wurde von mir in 2-monatlicher Schuftung [Anm.: Schufterei] bereitgestellt. Vielleicht bin ich jetzt glücklicher u. du weicher. Ein kleiner Nachdruck, u. es wäre spielend gegangen, ich würde als lit. Preisträger von amerik. Hilfsgesellschaften mit Dollars überschüttet werden. Aber auf Retournierung meines Manuskriptes habe ich doch Anspruch, vielleicht kann ich es anderweitig verwerten. Leider konnte ich bei dir nach dieser Richtung hin nicht einmal ein Telefongespräch - mit dem Arbitrage-Referenten der "Jawneh" [Anm.: s. Brief vom 14.11.46] durchsetzen. 2/ denkst du nicht mehr an Reisepläne, sondern läßt dein Frauchen vorfahren. Wahrscheinlich siehst du es so als richtig an. Doch möchte ich dich auf Tante Gusta verweisen, die dir etwas mitzuteilen hat, was man nicht schreiben kann. Du wirst daher noch überlegen, ob es nicht richtiger ist, den Staub Europas von deinen Sohlen zu schütteln. Was uns betrifft: Wie aus dem "Timpul" [Anm.: rum. "Die Zeit"] zu entnehmen ist, plant das Regime die Erhöhung des Banknotenumlaufes auf 25 Billionen. Das geschieht auf Kosten der Fixlöhner (aktiv u. im Ruhegehalte), die wahrscheinlich wieder mit einer Prise Schnupftabak abgespeist werden sollen, u. wird die eine enorme, neue Teuerungswelle zur Folge haben. Ein Durchhalten in Radauti ist schwer wegen des kalten, […] Winters u. der schon heute enormen Beheizungskosten so gut wie ausgeschlossen. Heute kostet 1 Raummeter 900000 - 1000000 Lei, ich brauche cca. 6 m³ für den Winter. Soviel kann ich gar auf unserem Boden nicht lagern. Eine Kammer haben wir nicht, dazu gehört ein gut umhegter Hofraum. Das Schneiden ist mit cca. 40 % des Holzpreises zu veranschlagen. Du siehst, daß da eine Summe von ~ 8 1/2 - 9 Millionen schon jetzt herauskommt. Was wird noch nach Erhöhung des Notenumlaufes sein? Wie du weißt, gibt es hier keine professionellen Holzhändler, die reell […], hier kauft man wild beim Bauern à la vue [Anm.: frz. "wie besehen"], ebenso wild ist auch der geforderte Preis. Wir denken daher an Bukarest, das aber für 2 Jahre - von vorne - gesperrt ist. Glaubst du, daß diese Sperre sich von hinten herum umgehend läßt? Wir bitten dich, diesen Fragenkomplex zu studieren u. die glimpflichste Lösung herauszufinden. Die wäre meiner Ansicht nach ein Kibbutz in Palästina, wo wir definitiv versorgt wären. Dort erhält jeder seine Arbeit, für die er geeignet ist (ich z. B. für die Organisierung von Herrenwäsche- u. Arbeitskleider-Heimarbeit, da ich Fachlehrer für Schnittzeichnen bin u. pro forma hier noch einen 6-wöchigen Perfektionskurs besuchen werde, der vom demokratischen Komitee abgehalten wird), dafür ist in allem für jeden gesorgt. Ich bringe die Entschädigungsansprüche auf die Liegenschaften der Mutter in das Vermögen des Kibbutz, und wenn du oder die Dynastie Greif noch etwas Kapital hineinstecken wollt oder könnt, dann kann draus etwas greifbares werden, das Übrige (Material, Näh-Maschinen etc.) stellt der jüd. Nationalfond bei. Auf alle Fälle wären wir in Bucuresti an Palästina nähergerückt, außerdem kann ich dort geistig leben, während Radauti mit geistigem Versumpfungstode gleichbedeutend ist. Wir leiden enorm Not an Textilien, an Anschaffungen ist nicht zu denken, ein Stück nach dem anderen wird unbrauchbar u. vor Alter nicht mehr zu richten. Rumänien wird, was den Lebensstandart der Fixlöhner betrifft, dem lieben Nachbarn gleichgestaltet, wie es dort ist, wirst du hoffentlich wissen. Mutter klagt seit läng. Zeit über Herzbeschwerden.*

Wir küssen euch, eure Alten.

*Ein Ärztebesuch kostet hier 100000 Lei die Medizin ein 3-4 faches. Das wird sich bald auf das Vielfache steigern. Wir können hier an so etwas nicht denken.

Lit. Beilage
PS. 8 (nach Axelrad u. dem Originale)

Ruhm u. Größe Gottes

Von deinem Ruhm u. deiner Größe prächtig
Erstrahlt die weite Erde, schmuckverschönt.
Dein Name ist im ganzen Weltall mächtig,
der Himmel sich zu deinen Füßen dehnt.

Auf daß dein Feld verzweifelt unterliege,
Zeigst du im Kleinsten deine Größe ganz:
Unschuldig lächelnd kündet in der Wiege
der Neugebor'ne deinen Ruhm u. Glanz.

Seh' ich das Firmament an, das erhöhte,
en Mond, die Sterne weit, so hell u. rein,
Beug' ich mein Knie in Demut zum Gebete
Und fühle mich, o Herr, so winzig klein!

Was ist der Mensch, daß seiner du erwähntest?
Ein Wurm voll Haß, an Leid u. Schmerzen reich.
Doch wenn du ihn mit deiner Ehre kröntest,
Scheint er gewürdigt, einem Engel gleich.

Was Meere hatten, gabst du ihm zum Leben,
Und was da kreucht u. fleucht in Feld u. Flur.
Die Wesen alle, die ihn rings umgeben,
Beherrscht er als ein König der Natur.

Zu deinem Ruhm u. deiner Größe prächtig,
der Himmel sich zu deinen Füßen dehnt.
Dein Name ist im ganzen Weltall mächtig,
die Schöpfung strahlt, von deinem Schmuck verschönt!

E. H.

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