14.09.47: Man kann sogar mit Geld nichts ausrichten.


Julius Hauster an Elias und Marjem Hauster (Fleischer):





Bucuresti, 14 Sept 1947

Liebe Eltern,

Ich möchte Euch zunächst herzlich ein gutes [Anm.: jüdisches] Jahr wünschen; wenn dieser Brief auch ein bisschen verspätet ankommen wird - man ist [in] Bukarest an häufigem Schreiben gewöhnlich verhindert - ist mir dabei geradezu feierlich zumute. Ich hoffe es wird trotz allem ein beßeres Jahr werden, auf jeden Fall ein entscheidendes Jahr. Ich will nicht lange Vorreden halten und gehe direkt auf ein Thema über, welches ich mir seit Wochen vorbehalte Euch im geeigneten Moment mitzuteilen. Angesichts der sich hier entwickelnden Situation haben wir beschloßen die Zelte abzubrechen. Man kommt hier zu nichts, kaum glaubt man es geht ein bißchen aufwärts arrangieren die Machthaber eine Finanzkatastrophe und halten die Wirtschaft auf, bis sie sich wieder erholt Wochen, diesmal Monate - es gibt außerdem wie Ihr wißt noch andere als wirtschaftliche Motive. Ich habe aus diesen kleinen und großen Katastrophen der letzten Jahre verschiedenes gelernt und will die künftigen vermeiden, die leider sehr bald kommen. Vor allem bitte nicht zu erschrecken das Experiment vom 15 August [Anm.: Währungsreform vom 15.08.47 mit einem Umtauschverhältnis von Lei 20000 : 1] hat mich nicht getroffen, ich bin wohl im Verdienen jetzt ein bißchen geniert wie übrigens sehr viele, aber im großen ganzen besteht kein Grund zu ernster Besorgnis. Wir haben nun den Paß eingereicht und ich bin hauptsächlich damit beschäftigt das Gesuch entsprechend befürworten zu laßen. Der Weg dazu ist schwer und kompliziert, es wird auch dauern bis wir so weit sind, abzudampfen, ich schätze frühestens in 4 Wochen können wir so weit sein, wenn alles gut geht. Die Sache geht nicht so leicht wie bei der Gusta, ältere Leute die zu Kindern fahren haben es sehr leicht, wegen meinem Beruf, Alter etc. Visumschwierigkeiten, sind viele Klippen zu umgehen und vor manchem muß man antichambrieren bis einem die Lust vergeht. Meine Reise führt nach Sao Paulo, Brasilien eine südamerikanische Großstadt, einige Stunden von Rio de Janeiro entfernt, am Meer gelegen. Mein Weg geht über Bruxelles wo ich einige Wochen Gelegenheit haben werde mich um meinen Bruder umzuschauen. Mit Hilfe des letzten Briefes von Marcel [Anm.: Maximilian Hauster] und sonstigem, ist es mir gelungen ein belgisches Visum zu bekommen, wir poussieren [Anm.: verm. frz. "pousser" = "drängeln"] jetzt noch den Paß was allerdings noch das schwerste ist. Ich fahre nicht weg ohne Euch entsprechend zu versorgen mit Geldmitteln für 1 Jahr oder mehr versehen, in guter, möblierter Wohnung eingewintert und für die nächste Zeit versorgt. Zu diesem Zwecke werde ich nach Radauti kommen, mit den Resten unserer in Liquidation befindlichen Wirtschaft, immerhin mit einer kompletten Garderobe für Euch beide und viele Haushaltungsdinge die Ihr brauchen werdet. Wahrscheinlich kommen wir beide nach Radauti. Ich fahre mit der festen Absicht Euch nach Südamerika in dieses reiche glückliche Brasilien zu bringen, sofort nach meinem dort Einfinden. (Dort muß man allerdings als Katholik hinkommen.) Sofort nach meiner Abreise und vielleicht schon früher (wenn ich den Paß habe) beginnt Ihr die Formalitäten für Euere Paßerlangung, die ich Euch mitteilen werde. Gleich nachdem wir den Paß bekommen kommen wir nach Radauti. Jetzt über den hiesigen Zustand: In Bukarest ist eine Hungersnot wie ich sie noch nie mitgemacht habe. Man kann sogar mit Geld nichts ausrichten. Die miserable alimentäre Situation hier macht es, daß sogar vor Gemüse riesige Schlangen stehen, es gibt kein Obst, keine Eier, kein Fleisch, keine Milch, man muß sich um jedes miserable Stückchen herumraufen und es auf teuer bezahlten Umwegen erschleichen, zu dem kommt eine geschäftliche totale Stagnation, eine Industriestillegung, Verhaftungen und ähnliches. Der riesige Magen von Bukarest knurrt in allen Fugen man vertröstet ihn mit Zeitungsgeschwätz und Propaganda. Ich sehne mich nach Chokolade, Bananen, Affen und ähnlichen Delikateßen. Übrigens ein bißchen Butter als Vorschuß wäre auch akzeptabel. Wenn Ihr die Möglichkeit habt gegen Voreinsendung der Spesen etwas zu schicken, bitte mich zu verständigen. Übrigens habe ich vor 2 Tagen 600 Lei geschickt und bitte um Bestätigung. Werde sehen wie ich das in den nächsten Tagen nach oben abrunde.

Bis auf weiteres Grüße & Küße Julius

N. B. Das alles wenn es uns gelingt den Paß zu bekommen. Wir fahren auch dann über die Schweiz und Paris. Auch das alte Grenoble will ich noch besuchen um in meiner zweiten Jugend die erste in Erinnerung zu bringen. Außerdem brauche ich einen Vortrag über Vektoranalysis.

Rachel Hauster (Greif) an Elias und Marjem Hauster (Fleischer):


Meine liebe Eltern,

Ich wünsche vor allen Euch ein glückliches gesundes [jüdisches] Jahr - daß es Euch gegeben sei im nächsten Jahr dieses Fest mit uns u. meiner ganzen Familie in Sao-Paulo zu feiern. Bitte vorläufig niemanden über unsere Reisepläne, ein Wort zu sagen - es ist gesünder so! Bitte Euch vielleicht inzwischen eine 1-Zimmer Küche Wohnung u. Möbel ausfindig zu machen, gute Öfen sind wichtig! Vielleicht wenn ich Zeit habe komme ich dann selbst nach Radauti um alles für die Eltern zu besorgen. Inzwischen bitte sich zu pflegen unbedingt Butter essen für die Mutter sehr wichtig, auch soll die Mutter viel ruhen! Eine Bedienerin mindestens einmal wöchentlich! Bitte um schreiben ob der Vater uns Lebensmittelpakete schicken kann. Mir ist heute sehr traurig zu Mute, all meine Leute sind so fern von uns. Nochmals alles

Gute Innigste Küsse Schella


[Anm.: Nachsatz von Julius Hauster: "Die Sache wird so ausgerechnet daß wir [...] mit leeren Taschen ankommen, aber ich hoffe die Sache bald wieder einzurenken."]

No comments: