00.09.47: Eine (nicht) harmlose Bemerkung?


Elias Hauster an Rachel Hauster (Greif):




Radauti 1947

Liebe Schella!

An Dich richtet sich jetzt dies unser Schreiben, weil Du eine Greif bist und der Name Greif für uns zum Symbol wurde, wie Kinder gegenüber ihren Eltern vorgehen sollen. Deine Brüder sind sich dessen bewußt, daß ihr Geben bloß ein Wiedererstatten ist. Sie haben ihre Eltern nicht seelisch gezüchtigt, ihnen nicht das bißchen Selbstachtung, das jedem Menschen so notwendig ist, wie das tägliche Brot, um jeden Preis rauben wollen, sie nicht mit jedem Worte seelisch getreten, verhöhnt und gedemütigt. Sie haben ihnen keine nachäfferischen Grimassen vorgemacht u. nicht in ihrer Gegenwart - geschweige in Gegenwart eines Fremden, der korrigierend einlenken mußte, von ihnen mit "er" oder "ihn" gesprochen. Sie haben ihre kleinen Liebhabereien (was kann ein alter Mensch schon für arge Liebhabereien haben?) nicht laut, nachdrücklich u. unaufhörlich mit Hohn gegeißelt. Sie haben sich kein Urteil über Dinge angemaßt, von welchen sie nichts verstehen. Sie haben sie nicht versteckter Andeutungen beschuldigt, als Logiergäste dauernd aufgenommen zu werden, zumal geistig gesunde Eltern eine solche Zumutung, auch wenn sie seitens der Kinder geäußert wird, ablehnen müßten. Sie haben ihnen nicht zugemutet, in einer Latrine, wo sich günstigsten Falls Schweine wälzen könnten, bei jeder Temperatur in einer halbarktischen Gegend ihren Leib zu entblößen u. dabei nicht die Redensart gebraucht: "ich kann dem Vater nicht das Topferl halten" (wir taten es einmal, ohne jetzt daran zu erinnern). Sie hätten, wenn Deine Eltern den Wunsch geäußert hätten, sich einem gut organisierten Altersheim anzuschließen, nicht erwidert: "Es ist sehr bequem sich zur Ruhe zu setzen". Sie haben Deine Mutter sicher reichlich dotiert u. tun es auch jetzt (es kommt nicht nur auf das Wieviel an, sondern auf das Wie) verlangten aber nicht von ihr wöchentliche Rechnungslage über jede Tagesausgabe einzeln, zur Gebahrungskontrolle. Sie haben also ihre Taten nicht durch Worte entwertet. Worte sind auch Taten, ein Wort entscheidet oft über ein Menschenschicksal. Ob dieses Vorgehens Deiner Brüder muß ihnen u. den Ihren (auch Du u. Dein Mann zählt dazu) Gottes Lohn so reichlich zuteil werden, daß das Gebot der Elternehrung vor der ganzen Welt verherrlicht wird.

Wir küßen Dich, Deine Alten.



Eine harmlose Bemerkung (Ein Stück Vektoranalysis)

Als die Bukowina im Jahre 1918 an Rumänien fiel, mußte ich, da ich höherer Stadtbeamter war, wohl oder übel als 40-jähriger Mensch A-B-C-Schütze in der rumänischen Sprache werden. Wir Minoritätler mußten nach Absolvierung eines Kursus durch eine Prüfung nachweisen, daß wir die rumänische Sprache so weit beherrschen, als sie zum "Amtsgebrauche" notwendig ist, was auch richtig geschah. Die schöne rumänische Sprache nahm dabei keinen ernstlichen Schaden, denn Rumäne und Nichtrumäne gaben in herzerfreuender Einmütigkeit ihrer Überlebensfreude über den Weltkrieg hinaus in gutem bukowiner Deutsch mehr oder weniger beredten Ausdruck, je nach dem Vorrat an täglicher Speise - Mămăligă [Anm.: rum. "Maismehlbrei"] mit Rübenschnitzelmarmelade - über die man verfügte. Als neugebackener Bürger des nunmehrigen "Großrumänien" geriet ich oft in die Notwendigkeit, an Behörden Gesuche in rumänischer Sprache zu machen. Kleine stilistische Unvollkommenheiten waren nie ein Hindernis für die Abweisung dieser Gesuche, wenigstens waren die Abweisungen nie mit meinen Stilentgleisungen motiviert. (Kunststück, eine Abweisung zu motivieren!) Mein Sohn [Anm.: Julius Hauster] machte mich bei irgendeinem Anlasse auf diese gelegentlichen stilistischen Unzulänglichkeiten aufmerksam, fügte aber hinzu, "allerdings im Deutschen nicht". Darob entstand im Olymp ein heilloser Spektakel: Denn zufolge dieser harmlosen Nebenbemerkung bekam die Göttin Athena einen Lachkrampf, aus dem sie trotz aller Mittel aus der göttlichen Hausapotheke nicht zu bringen war. Der telephonisch herbeigerufene Äskulap, der gerade damals im nächstgelegenen Radautzer Spital meine Frau mit Röntgen durchleuchtete, versuchte es bei der Erkrankten mit einem Schluck Nektar, aber da geriet ihr ein Tropfen in die göttliche Luftröhre, so daß sie vor Lachen fast erstickte. Und da blieb unseren Göttern nichts anderes übrig, als mitzulachen, zumal sie über den Anlaß des Lachkrampfes aufgeklärt wurden. Und da Lachen ansteckt, begannen auch die diversen Halbgötter in die Heiterkeit einzustimmen, so daß der Götterberg bald von einem donnerähnlichen, göttlichen Gelächter erdröhnte. (Fortsetzung folgt nicht.)

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