29.01.47: Die Karikatur


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):




Radauti 29/1 47 -22 °C

Liebe Kinder, lieber Jul!

Mit deiner höchst gelungenen Karikatur samt Erläuterung hast du entschieden die Lacher auf deiner Seite. So hat sich meine rudimentäre Zeichenkenntnis bei dir zu einer so schönen Fähigkeit veredelt, mit der Hand in Linien zu dichten! Pflege diese Fähigkeit, widme ihr womöglich täglich 1/2 Stunde in planmäßigen Übungen, du kannst einmal damit in Gesellschaft glänzen. Versuchst du nicht, mich als Bären - weil ich den Winter am liebsten in einer Höhle verschlafen möchte (litauischer Typus mit Asiatennase), die Mutter als Schwalbe - sie rast den ganzen Tag nach Atzung [Anm.: Jägerspr. "Nahrung junger Greifvögel"] herum - u. dein Frauchen zu karikieren? Ein Bildchen deiner Frau würde uns überhaupt viel Vergnügen machen. Wie schaut sie jetzt aus? Für dein gut getroffenes Lichtbild besten Dank: modernster Typ eines weltstädtischen Draufgängers. Dein - euer - Sproß (oder Sproßin) wird vielseitig künstlerisch u. technisch begabt sein, aber auch die kaufmännischen Fähigkeiten der Greif’s erben. Deine Motivierung, warum du mehr verdienen mußt, ist sehr edel gedacht. Aber es bedarf gar keiner besonderen Motivierung: Natürlich mußt du mehr verdienen, aber ohne dich mehr anzustrengen. Darum bist du ja glückliches Mitglied der Über[…]klasse! Deine Preissteigerungen müssen mit der allgemeinen Verteuerung Schritt halten! Ich bin schon außer "Bett" u. muß mich jetzt nur vor einer Rezidive [Anm.: Rückfall] hüten, was in dieser Wohnung keine einfache Aufgabe ist. Wenn dir das Thema nicht behagt, kannst du die folgenden, die Wohnungsfrage behandelnden Zeilen ganz unterschlagen. Ich will aber nicht riskieren, daß du mir dann den Vorwurf machst: "Warum habt ihr mir darüber nichts geschrieben?" - Also auf den ersten Anblick fehlt der Mauerverputz, was im Kälteschutz sicher ins Gewicht fällt. Durch die Ziegelfugen der dünnen Dachboden-Feuermauer schaut der blaue Himmel herein, also ein sehr kalter Vorraum. - Die Wandstärke der "Zimmer" ist nicht 45 cm, wie die Bauordnung minimal vorschreibt, sondern, zufolge des bekannten Polierkniffes 40 cm (eine Ziegellänge, u. eine Stehziegel[…]). Das Haus ist aber freistehend, so daß dieser Kniff eine weitere Abkühlung bedeutet. Dann: um einige Fuhren Mauerschutt zu sparen, sind die Fußböden ohne Schüttung, die Folge davon ist ein fortwährendes Frösteln der Füße (der meist betretene Weg aller Erkältungskrankheiten). Endlich sind die Fenster - aus Sparsamkeit - nicht gestrichen. Der Anstrich soll nicht nur zieren, sondern auch das Fensterholz vor Feuchtigkeit schützen. Da er fehlt, haben die Fenster Feuchtigkeit angezogen und sind - auch zufolge der ganz minderwertigen Verschlußvorrichtungen - nicht dicht zu kriegen. Wir wohnen somit bei permanenter Frischluftventilation. Die Tür in den Bodenraum ist nicht doppelt, dazu gesprungen. Aber auf etwas mehr oder weniger Frischluft kommt es nicht an. Das "Schlafzimmer" hat keine Heizvorrichtung, die durchgehenden Bäckereikamine bleiben stets kalt, weil die Bäckermeister zumeist streiken. Wenn gebacken wird, dann sine es einige wenige Brote im Ofen des Weinschenker’schen Wohngebäudes. Wir mußten also alle Räume (die bitterkalte Küche in erster Linie) aufgeben u. unsere Pritsche in den 1. Raum verlegen, wo wir so nahe dem von uns installierten Blechherde schlafen, daß ich von meinem Lager aus Holz nachlegen kann. Den ganzen Tag wird gefeuert, wir erzielen damit eine etwas mildere Kälte als im Dachboden. Aber 6-8 Stunden nachts müssen wir Heizpause machen. Nachts können wir oft vor Kälte nicht schlafen, alle Mäntel liegen auf uns, ich muß im Rock, 2 Westen, 1 Püjama, 1 dünnes Trikot und - 1 Schlafhemd samt Dessous - schlafen, die Mutter ähnlich verpackt. Was für uns jedoch am meisten peinigend ist: alle Hygienie, die wir uns im Sommer leisten konnten, - und sie war bescheiden genug - ist durch die kalte Wohnung in einem ausgesprochenen Polarklima à la Stalingrad unmöglich gemacht. Ich höre auch von anderen Repatriierten, daß sie schlecht wohnen. Manche aber hatten Glück od. Protektion (mir fehlt in diesem Belange beides) u. haben von d. Administratia Bunurilor Statului [Anm.: rum. "Staatsgüterverwaltung"] für 25000 Lei jährlich gute, warme Wohnungen zugewiesen erhalten. Du wirst mir daher hoffentlich zustimmen, wenn ich sage: Noch ein Winter in diesem Lande, zumindest in dieser Wohnung, ist 100 %iger Selbstmord. Möbel vermisse ich nicht: wir haben uns an das provisorische Hausen schon gewöhnt: sogar der Hausbesitzer Schuller samt Familie haben noch Pritschen, ebenso Dr. chem. Apotheker Bernstein, etc. etc., weil kein Jude hier zu bleiben gedenkt: alles hofft auf Palästina. Der Glauben an eine Heimat anderswo ist uns durch die bekannten Vorgänge (speziell durch die uns zuteil gewordene Herauskomplimentierung) verloren gegangen. Ich würde gerne in der Eigenschaft als […] ebr. [Anm.: hebr.] Poet ein Zertifikat ansprechen u. es sicher auch erhalten: Die Palästinareise würde mich dann nichts kosten, in Bukarest würde ich bei der mich befördernden Organisation auf die Verschiffung warten: Aber da du, um mich nicht zu kränken, über die Jawneh [Anm.: s. Brief vom 14.11.46]-Angelegenheit hartnäckig schweigst, weiß ich schon, wie viel die Uhr geschlagen hat. (Das würde sich sonst ausgezahlt haben, die ganze Preissumme, die doch eine Lappalie ist, für "Manipulationskosten" zu spenden, um nur nominell Premiat [Anm.: rum. "Preisträger"] zu heißen.)

Nun, liebe Kinder, seit bedankt u. Gottes Segen für euere Zuwendungen. Wenn die Heizung aufhören wird, uns aufzufressen, dann werden wir mit der sukzessiven Anschaffung von […]leinwand beginnen, um aus dem Zustande, in den uns der Stalingrader Winter geworfen hat, wieder herauszukommen, der Mutter u. mir einige Leib- ferner die notwendigste Bettwäsche nachzuschaffen - nach 2 Weltkriegen, 10 Besatzungswechseln, 1 Ghettoperiode, 1 Judenverfolgung, 3 Inflationen, 3 Pensionssystierungen [Anm.: Aussetzung der Pensionszahlungen] etc. etc.

Wir küssen euch, eure Alten.


Ing. Elias Hauster

Aus meiner poetischen Werkstätte Wien 1920, als für mich die Liebe noch grünte, an deine Mutter:

Mir war von Schicksals gütiger Hand
Ein seltenes Glück verheißen:
Mich lockt’, wie aus Grotten im Wüstensand
Eines kostbaren Schatzes Gleißen.

An mir war’s zu finden den richtigen Spruch,

vom Eigner des Schatzes zu werten.
Ich würd’, gleich dem Prinzen im Märchenbuch
Zum glücklichsten Waller [Anm.: veralt. "Wallfahrer"] auf Erden.

Du hast einen Schatz von Lieb’ u. Treu,
Von süßem, seel'gem Empfinden,
Und ich, ich mußte mich stets aufs Neu,
den Schüssel zum Schatz zu finden.

Nun ist meines Lebens Frühling fort,

Mein Jugendtraum längst zerstoben,
Ich fand nicht das richtige Zauberwort -
Der Schatz bleibt ungehoben.

(Auch ins Ebr. [Anm.: s. o.] übertragen) E. H.


P.S. Wir erwarten freudig Ostern, schon um deines Besuches willen.

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