16.06.47: Eine Persönlichkeit namens Sumer Wolf


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):




Radauti, zum 16. Juni 1947


Liebe Kinder, Liebe Tochter!

diesmal wendet sich mein Schreiben speziell an dich, liebes Schellachen, und weiß ich mir zum obigen Tage als literarische Beilage nichts Schöneres als folgende Übertragung von meinem Freunde A. Axelrad

Das Duett (seiner Frau gewidmet)

Wo ist das Geheimnis, sprich!
Von uns beiden der Dichter bin ich,
Doch sind meine Verse prosaische Zeilen
Grau, ohne jede Harmonie,
Während wo dein Tun und Denken mag weilen,
Ist Poesie!

Ich schmiede Reime edel und fein,
Dagegen armselig die Werkzeuge dein:
Ein Strähnchen Zwirn, eine Nadel sind's bloß:
Doch welch ein Wunder, seltsam u. groß!
Berührst du sie, tönen zu allen Zeiten
Vibrierende Harfen, Flöten und Saiten ...

Glück und Melodie füllt unser Gelaß ...
Frau Gemahlin, sprich, wie machst du nur das?
Wo birgt das tiefe Geheimnis sich?
Von uns beiden der Dichter bin gar nicht ich.

Umsonst klettr' ich blutend zum Höhenpfade,
Auf Erden du bleibst - und dein ist die Gnade!
Wie bei Abel von einem Altare geweiht,
Steigt dein Opfer empor auf des Götterbergs Treppen,
Doch ich Kain, ich Mörder der kostbaren Zeit,
Muß unten mich auf der Erde schleppen.

Rein weiß - tief schwarz, positiv - negativ,
Spielen wir die Noten am selben Stativ.
Wie unter geheimnisvollem Fluid
Zum Himmel wir senden empor unser Lied,
Es zieht empor ein Magnet
Unser eheliches Duett.
Ich spiele b-Moll, du heiterer, lichter,
In Liebe und Heiterkeit, aufwärts zur Höhe,
Von uns beiden bin gar nicht ich der Dichter!

Meine Gnädige, fort das Konzert bestehe,
Laß verlängern uns das Duett unsrer Ehe!

So wünschen wir euch zu deinem Geburtstage [Anm.: 16.06.47] ein schönes, immerwährendes Eheduett, aber recht bald sollen, eines nach dem andern, dünne Sopranstimmchen als Begleitung einsetzen, so daß daraus ein Familienkonzert wird.

Inoffizieller Teil:

Lieber Jul! Der plötzliche Preissprung nach aufwärts - na, wohin sonst? - hat bei uns eine gräuliche Existenzpanik hervorgerufen. Von deinen eingesandten 1100000 ließ es sich Mutter einfallen , auch ½ Raummeter Holz zu kaufen [Anm.: Randbemerkung] (war sehr nötig), samt Schneiden 620000 Lei. Da plötzlich schwoll der Maismehlpreis auf 250000 Lei/kg, der Kartoffelpreis auf 10000 Lei/Stück an, 1 kg 80000 Lei (wir spazieren mit den "mikroskopischen" Preisen hart hinter euch Weltstädtern her). In einer solchen Situation waren wir unser Lebtag noch nicht. Ich sprach einen Wohltätigkeitsverein um etwas Geld an - doch ist die Prozedur bei ihm zu langsam. Ich eilte zu Schuller u. lieh mir dort [...] 200000 Lei, mehr waren dort momentan nicht im Hause. Mutter hatte vom Joint [Anm.: Kurzform von American Jewish Joint Distribution Committee] 2 Fähnchen [Anm.: "leichtes Kleid"] bekommen, die für sie zu eng, zu jung u. f. Blondinen waren: Sie verklopfte sie an die Hausfrau für 3 Kilo Maismehl in natura. Da atmeten wir - am Montag d. 11. - f. d. Moment erleichtert auf, denn der Postbote, nach dem wir schon durchs Fenster ausguckten, brachte uns deine 500000 Lei, für die wir herzl. danken. An Schuller bezahlte ich sofort die Schuld, jetzt zehren wir vom Rest u. vom Verklopfungsertrag. Wir verzehren jetzt täglich: 50 dkg [Anm.: österr. veralt. Dekagramm = 10 Gramm] Fleisch, 150000 Lei/kg davon 50 % Abfall wegen Knochen. Kosten: 750000 Lei. 1 kg Maismehl 250000--, ½ kg Kartoff. (früher 1 kg, jetzt haben wir den Riemen enger geschnürt) 40000-- Butter Ø, ¼ l Milch 10000 Lei, Zucker Ø, Öl, Zwiebel, Salat, Rettiche, Petrol, Holz, 1 Zwirnfaden, etwas Seife (1 kg 1000000) u. sonstige Kleinigkeiten. Miete tgl. 3333 Lei, das macht tgl. ½ Million aus. Dabei Brot Ø, irgend eine Reparatur oder Anschaffung Ø, Zwirn Ø, Seife Ø etc. etc. Jetzt hast du genug von unsern "Zures", du hast deine eigenen. Meine Pension (3200000) reicht sohin für 6 Tage. Elektr. Licht haben wir nicht gerechnet. Du siehst, daß wir Ursache haben, uns in eine Gemeinwirtschaft (Asyl oder paläst. Kibbutz) hineinzuwünschen, denn die Menschen haben die materielle Möglichkeit eingebüßt, Einzelwirtschaften zu führen. Dazu das Fixlöhnervernichtende Regime nach russ. Muster ... u. wer weiß, wie die Preise noch evoluieren [Anm.: rum. "sich entwickeln] werden.

[Anm.: Randbemerkung] 10/6 Heute noch ein "Joint"-Kleid für 1 ½ kg Maismehl verklopft (400000).

Fortsetzung des inoffiziellen Teiles

Lieber Jul! Heute komme ich, mich an dich in einer für dich u. uns sehr wichtigen Sache zu wenden. Wir beschwören dich bei allem war dir wert ist, für uns zumindest ebenso viel Mühe aufzuwenden, wie für die Tante Gusta. In Bucuresti wurde dieser Tage ein schloßartiges Gebäude, Stiftung eines sehr reichen Mannes, als Altenheim, auch für alte Ehepaare mit durchaus separaten Aufenthaltsräumen, eröffnet, herrlicher Park, 5 Mal tgl. Beköstigung, saubere Bedienung, Wäsche, etc. etc., also eigentlich ein Sanatorium. Aber per Kopf ist ein für alle mal ein Beitrag von 10 Millionen Lei, sohin f. uns 20 Millionen, zu erlegen.

Eine Persönlichkeit namens Sumer Wolf ("Joint") soll da ein wichtiges Wort haben, seine Adresse kannst du unschwer ermitteln. Es bietet sich uns Gelegenheit, aus dem Radauter Elend herauszukommen. Dort ist Frau Horowitz, Spenderin des Cernăuți'er Waisenheimes, jetzt wie wir verjagter Flüchtling, aufgenommen worden. Es wird dir bestimmt möglich sein, dir diesen Betrag irgendwie im Kreditwege zu besorgen, um uns endgültig als Klopot [Anm.: pol. "Sorge"] vom Kopfe zu haben, du bist so der Sorge um uns für immer, auf ideale Art u. Weise, los u. ledig u. brauchst dich dann materiell gar nicht um uns zu kümmern, wir werden dir so das vorgeschossene Geld in 2-3 Monaten eingebracht haben. Das ist seit unserer Repatriierung der wichtigste Schritt unseres zur Neige gehenden Lebens, u. bitten wir dich dringendst u. inständig, uns darin nicht im Stich zu lassen. Wenn die Hinreise am 27. - 29. irgendeines Monats erfolgt, dann können wir aus der Pension (~ 3,3 Millionen) die Reisekosten (Eisenbahnkarte) selbst bestreiten, nur sind in Bucuresti die polizeilichen Zulassungsformalitäten zu erledigen. Wir glauben, angesichts des Reisezweckes wird kein Anstand [Anm.: gehoben "Bedenken"] sein. Wir bitten dich, uns zum Telefon zu rufen, um uns das Ergebnis deiner diesbezüglichen Schritte mitzuteilen.

Wir küssen euch, eure Alten.


Am 11/6 mit heißem Dank 2000000 erhalten, auch die Postkarte, Dank f. d. Wäscheaviso u. Sonstiges. Wenn "Jawneh" [Anm.: s. Brief vom 14.11.46] einschlägt, dann hätte erst mein Leben einen Sinn. Bitte nochmals um dringende Behandlung des Falles! In Radauti erfrieren wir diesen Winter bestimmt!!!

[Anm.: Randbemerkung] Mutter braucht Saccharin [Anm.: Süßstoff] u. Fette (Butter u. Schmetten [Anm.: ostmitteld. "Sahne"], d. i. eine Geldfrage). Vielleicht kannst du Saccharin beipacken.

No comments: