15.05.46: Mutter hat die Orientierung verloren.


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):





Radauti 15/5 1946

Liebe Kinder! Lieber Julius!

Also Mutter hat seit dem 7./5. ihren Gipsverband am rechten Unterarm erhalten, das hat mit Röntgenisierung, Verbandstoffen u. Ärztehonorar 160000 Lei gekostet, dafür sind die Zuckerpusteln fast ganz geschwunden. Der behand. Arzt war Dr. Steiger, der zwar teuerer, aber ungleich tüchtiger ist. Wie es zum Unfall gekommen ist? Die Mutter hat abends beim Passieren des von der Küche aus beleuchteten Vorraumes aus unerklärlichen Gründen die Orientierung verloren u. fiel die Stiege bis zum Podest hinunter. Wäre sie in den Stiegenspindelraum hineingeschritten, dann wäre - mangels eines Geländers - das Unglück namenlos gewesen.
In der Zwischenzeit war ich einmal in Sereth wegen Adeverinta [Anm.: rum. "Bescheinigung"]-Umtausches, Frau Ellenbogen war mit u. hat mir sehr viel geholfen, Resultat: Zusage, daß die Scheine nächste Woche fertig werden, also nochmaliges Fahren war erforderlich u. auch von der Frau Ellenbogen allein mit vollem Erfolg besorgt. Kosten beider Fahrten: 100000 Lei Detaillierung gelegentlich. Für Erlangung eines Bulletins [Anm.: rum. "Ausweis"] (Stempel u. [Fischas] [Anm.: rum. "fișă" = "Schein"] 2000 Lei) muß eine legalis. Kopie der Adeverinta [Anm.: s. o.] gemacht werden (neueste Verfügung), das kostet bei Gericht 10000 Lei (beim Notar noch mehr). Aus dem allein ersiehst du, warum ich mich wieder - mir selbst am meisten peinlich - mit einem S.O.S.-Ruf an dich gewendet habe. Daraufhin kam deine Pensionsaktensendung. Ich hatte den Einfall, mit der Weisung zur Fin.-Adm. [Anm.: Finanz-Administration] zu gehen - ohne Bulletin [Anm.: s. o.] , da die Drucksorten nicht fertig waren, nur mit der Adeverinta [Anm.: s. o.], u. bekam Pension pro April ausbezahlt, Rest ab 20./5., da man aus Buc. [Anm.: Bukarest] Geld erwartet. Pension u. Rückstand sind nur halb so groß ausgefallen, als ich erwartet habe, an Möbelanschaffung ist vorderhand nicht zu denken, u. da du die Wohnung bloß beangabt hast, werde ich sie ohne einen Zuschuß von dir nicht bezahlen können, ohne den Rückstand in Angriff zu nehmen. Beginne ich aber mit dem Rückstande, dann ist er in kurzer Zeit aufgezehrt. Was Tante Gusta betrifft, ist es schade um jeden Leu, denn sie hat der Fr. Ellenbogen in Rum. ihre Jungschweine gezeigt, die sie gezüchtet hat - auf unsere Kosten, während wir so etwas nur vom hörensagen kennen. Aber wenn du durchaus spendabel sein willst .... Mit meiner Pension ist hier, wie du leicht errechnen kannst, ein Existieren unmöglich. Wir bitten dich daher, über unsere Lage nachzudenken, vielleicht findest du einen Ausweg. Ich trage Wasser vom Ziehbrunnen u. Fäkalien auf leere Plätze, wie lange werde ich dazu physisch imstande sein? Hygiene (W.C., ein gelegentliches Bad) sind Dinge, von denen man hier nur träumen kann. Ich habe schon an das Bukar. Altersversorgungsheim gedacht. Wie stellst du dich dazu?
Ich habe an dich außerdem folgende Bitten:
1.) Bitte mir durch Frl. Schuller oder per Kreuzband Langenscheidt's deutsch-engl. u. engl. deutsches Taschenwörterbuch zu schicken, ich will hier engl. Stunden suchen,
2.) Bitte uns wöchentl. per Kreuzband einige von dir weggelegte Zeitungsblätter als rum. Lektüre zu schicken, damit ich das Rum. nicht ganz vergesse,
3.) Bitte durch Reklamation zu versuchen, meine Benachteiligung beim Kleiderstoff, Anzug etc. (von euch für uns gelassen) gutzumachen. Mit so erlangtem Betrage u. überzeugt auf jeden Fall bitte ich dich,
4.) beim Herrn Rabbiner M. L. Friedmann, Bucuresti Str. Tudor Vladimirescu N° 7 vorzusprechen, ihm meine Situation klarzulegen u. ihn zu bewegen, 90000 Lei von mir zwecks Schuldentilgung anzunehmen, ich würde ihm sodann das Geld einsenden (auf dein Aviso). Sollte ich durch einen Glückszufall in die Lage kommen, die Sache in seinem Sinne zu schlichten, dann werde ich es gewiß tun.
5.) bitte ich dich, beiliegende Knopfzeichnung zu begutachten. Näheres nächstens (aufbewahren!) [Anm.: s. 4 Abb. im Brief] Knopf f. meine Hosen 3 Mal vergrößert
Die Mutter beschwört dich, nicht allein zu chauffieren, das ist eine Schwerarbeit. Ich finde, daß [Anm.: Text fehlt] [...] Ingenieur chauffieren soll. [Anm.: Text fehlt] werde ein Langsamkeitsrekord [Anm.: Text fehlt] mit deiner Maschine den Kont[Anm.: Text fehlt] wagen!
6.) Mein Bruder wohnt Str. [Anm.: Text fehlt] Vielleicht erweist du ihm die [Anm.: Text fehlt] Auto einmal vor seiner Wohn[Anm.: Text fehlt] und mit ihm einige Worte zu wechseln?
7.) Ich bitte dich, gelegentlich Information in einer Kleideraktion des Joint für Repatriierte einzuholen, da wir in dieser Beziehung, bes. was Schuhe anbelangt, sehr der Fürsorge bedürfen. Auch möchte ich die Adresse einer jüd. Kulturgesellschaft zwecks Förderung meiner lit. Bestrebungen erfahren, da mein poet. Freund Dr. Pekelmann (Furtuna) leider nach Palästina ausgewandert ist.
8.) Baldige Antwort
Für heute habt ihr von uns genug.

Wir küssen euch, eure Alten

Ing Hauster Ilie

No comments: