04.07.47: Mein Leben hat seinen halben Sinn verloren.


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):




Radauti 4/7 1947

Liebe Kinder, lieber Jul! Heute beiliegendes Schreiben samt Beilage über Marcel [Anm.: Maximilian Hauster] von Tante Gusta erhalten. Wir danken euch auch unserseits für ihre Betreuung. Gott wird es euch lohnen, da wir alle, nun einmal zu Weltreisenden gestempelt sind und auch ihr - unter Gottes Schutz - in absehbarer Zeit auf Reisen geht. Da du bis nunzu alle Schritte wegen Marcel [Anm.: Maximilian Hauster] unternommen hast, bitte ich dich, dich auch diesmal der Adresse der Mdm [Anm.: Madame] BRAEM - Service des Recherches, 1, Rue de la Bonté, Bruxelles, zu bedienen, u. nach beiliegendem Muster eine Enquête [Anm.: frz. "Untersuchung] zu verlangen, die Antwort des DRK an Vally v. J. 1944 ist ein sehr verhängnisvolles Omen: Es muß so schlimm gewesen sein, daß der Bevollmächtigte lieber unverbrüchliches Schweigen bewahrt. Dein "Luftikus von Bruder" lebt wahrscheinlich seit dem 15/1 1943 als seliger Geist. Er hat es notwendig gehabt, mit einem Beamten des rum. Konsulates (wo er doch schon so schlecht angeschrieben war) u. zugleich in derselben Person mit einem freiwilligen Agenten der Gestapo eine Zwistigkeit anzubandeln. Wir müssen leider schon sagen: Friede der Asche dieses Märtyrers. Mein Leben hat seinen halben Sinn verloren. Vielleicht erbittest du dir von der belg. Staatspolizei in Mecheln die Auskunft, in welcher Weise solche Menschentransporte in das Nichts befördert wurden (benzingetränkte Waggons, Erfrieren- oder Verhungernlassen etc.), damit wir wenigstens etwas über seine Todesart in Erfahrung bringen. Jetzt zu uns. Tante Gusta schreibt, du bereitest alle Papiere zur Abreise vor. Das können wir, da du von uns keine Daten abverlangt hast, nur auf euch beziehen. Ohne eure mater. Hilfe werden wir hier buchstäblich verhungern. Wie gedenkst du das mit uns einzurichten? Ich bin schon durch die Vergeblichkeit meiner diesbezüglich Wünsche gedeftet [Anm.: österr. ugs.: "entmutigt"], daß ich mir gar nicht herausnehme, irgendwelche Vorschläge zu machen. Da die Jawneh-Affaire [Anm.: s. Brief vom 14.11.46] wahrscheinlich ein Begräbnis I. Cl. erfahren hat, bleibt nur die Variante jenes sagenhaften 10-Millionen-Altenheims [Anm.: s. Brief vom 16.06.47], von dem ich hier nur unbestimmt gehört habe, u. wo wir unsere letzten Paar Jahre verseufzen können. Es hat für Ruinen, wie wir sind, wirklich keinen Sinn mehr, für das bissel Lebenfristen Kübel zu schleppen, bei Herdhitze zu schmoren, in das Städtchen nach Lebensmittel zu hasten, etc. Heutzutage ist jede Einzelwirtschaft für solche Ruinen ein Unsinn, unsere letzten Paar Stunden sollen wir unsern Gebeinen schon Ruhe gönnen, zumal Mutter bis zur Unkenntlichkeit herabgekommen ist. Als ideal betrachte ich noch immer die endgültige Unterbringung in einem palästin. Kibbutz, d. i. eine ideale Gemeinwirtschaft, wie wir sie erträumen. Auf alle Fälle können wir den Winter hier ohne Erfrierungsgefahr nicht mehr riskieren, sowohl die Mutter, als auch ich, haben kein geeignetes Winterschuhwerk. Bitte Antwort!

Wir küssen euch, eure Alten.

Wir wünschen der l. Schella einen angenehmen Sommeraufenthalt.

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