01.07.48: Die soziale Wichtigkeit der Berufe


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):





Radauti 1/7 1948

Liebe Kinder, lieber Julius!

Wenn Ihr wüßtet, wie sehr uns der Brief, den wir gestern von euch erhielten, nottat, Ihr würdet ihn schon früher geschrieben haben. Wir danken herzlich für die nachträgliche Gratulation an die Adresse der Mutter, es geschah ja schon telegraphisch! Wir ersehen aus deinen Mitteilungen, daß du die Fassung beim großen "Chap" nicht verloren hast, sondern dich der neuen Situation anzupassen gedenkst, was jedenfalls das Gescheiteste ist. Ich weine zwar deiner freien Ingenieurtätigkeit im Innern eine stille Träne nach (weitere Abschlüsse - mit wem? - sind eine Trostfiktion, an die du selbst nicht glaubst) aber das ist ja nur, bis die Dinge in Israel in Ordnung gekommen sind, dann segeln wir samt u. sonders dorthin, von dort aus kannst du dann nach Belgien ausreisen, ein Vorwand wird sich finden. Wir sind ja alle hier Derweilmenschen! Israel wird aus der Anglo-Amerik. Interessensphäre nicht heraus wollen u. können, dafür lassen wir die Anglo-Amerikaner sorgen. Und dort herrscht eine andere Auffassung von den Menschenrechten des Fixlöhners, als auf der östlichen Hemisphäre, das liegt schon in der historischen Vergangenheit, in der politischen Erziehung und im Völkercharakter. Du wirst jetzt also in die Reihen der Fixlöhner treten, einer Organisation, wo theoretisch das Problem der sozialen Wichtigkeit schon gelöst ist. Ungelöst ist nur die Angleichung an die freibürgerlichen Berufe (Börsenkommissionär, Parfümerie-, Juwelen-, Pelzhändler etc. etc.), welche für den Zweck dieser Angleichung sehr wertvoll sind (darin liegt ihre einzige, soziale Wichtigkeit). Wenn nun durch eine Infektion von einer auf einer gewissen Hemisphäre wütenden Seuche diese Musterexistenzen, diese für den Fixlöhner anzustrebenden Exempel beseitigt werden, dann verliert dieser ganz die Orientierung in der Lebenskultur u. nimmt mit dem fürlieb, was ihm von den Bratenröcken geboten (hingeworfen) wird: er ist dann in seiner stumpfen Verelendung leichter zu lenken, u. das gerade ist ja der letzte Zweck der Bratenröcke: ihr Traum, ein mächtiges, aber willenloses, weil verelendetes Werkzeug zu haben, mit dem sie ihre Oberherrschaft ad infinitum sichern können. Beweis: trotz aller Wettbewerbe (intrecere [Anm.: rum. "Wettbewerb"]) wurde noch keine Intrecere [Anm.: rum. "Wettbewerb"] im Lebensstandard des Fixlöhners veranstaltet, sagen wir: eben des Lokomotivführers (der Ingenieur hat im Verhältnis zu seiner Vorbildung natürlich ein Recht auf ein entsprechend höheres Lebensniveau). Nun kommen wir vom Allgemeinen auf das Besondere. Wir haben auf Grund deiner Zusage (in Unkenntnis der kommenden "Chap", uns das halten einer Wohnung um den Mietzins von 2 - 2 ½ Tausend Lei zu ermöglichen, die Mieterschutzwohnung im Stich gelassen u. eine teuere Wohnung genommen - "u. jetzt - o!" Wie denkst du dir die nächste Zukunft, wirst du als Fixlöhner imstande sein, uns etwas beizusteuern? Sonst wäre es vielleicht angezeigt, du suchst einen Posten mit anständiger Naturalwohnung u. reservierst uns irgend ein separiertes Hinterzimmer, nur um den teuern Mietzins hier nicht zahlen zu müssen. Ein Ersatzmieter wird sich hoffentlich hier leicht finden. Was die nächste Zukunft bringt, welche "Chaps" noch bevorstehen, wissen wir ja so wie so nicht, denn so etwas wird bis zur letzten Sekunde von den "Chapern" streng geheim gehalten! Bei einer Naturalwohnung ersparen wir vielleicht auch die Beheizung, was einen wichtigen Posten ausmacht. Inzwischen kannst du dich als Vorbereitung für Israel mit dem Problem der montierbaren (vielleicht fahrbaren?) Häuser befassen. Das Zimmer werden wir nur abgeben, wenn es uns eine fühlbare, pekuniäre Erleichterung bringt (Passage nicht bei uns). Das ist jetzt keine leichte Sache, denn nach dem "Chap" ist das Geld rar geworden. Um deine Sanierung ist uns nicht bange, du kannst dich von der belgischen Linie aus auf Vorschuß sanieren lassen. Warst du so gut, an die Redaktion der "Unirea" [Anm.: rum. "Vereinigung", verm. eine rum. Zeitschrift/Zeitung] zu telefonieren? Was wurde dir geantwortet? Da wir uns f. d. Winter etwas Holz u. einen Blechofen f. d. Zimmer besorgen, den Vertrag vergebühren u. den Julizins zahlen müssen, bitten wir euch, wenn es euch möglich ist, uns 3000 Lei dringend einzusenden.

Wir küssen euch, eure Alten.



Anhang:

Ein Kapitel Fixlöhnerwirtschaft:

Als ich in meiner Eigenschaft als Bau-Assistent meine dienstliche Karriere begann, betrug mein Gehalt 150,- K[ronen]. ein Baurat erhielt 250,- K[ronen]. Damals kostete ein Paar Schnürschuhe, Marke "Salamander", feine Friedensware, 10-50 K[ronen]. Der Baurat konnte also für sein Gehalt - 25 Paar solcher Schuhe erstehen. Das war in der verwerflichen kapitalistischen Gesellschaft, unter der Herrschaft eines Kaisers. So ähnlich - im Verhältnis - waren alle Fixlöhner (brrr!) dran. Heute, in der RPR [Anm.: Volksrepublik Rumänien], in der beim Sozialismus schon angelangten Demokratie (siehe "Chap"), ist in den Zeitungen von einem großen Preiskrach in Schuhwaren in den Staatsgeschäften zu lesen: pantofi barbatesti maron cu nabuc alb [Anm.: rum. "braune Herrenschuhe, mit weißem Nubuk"] (was heißt nabuc?), 6500-5500 Lei. Das Gehalt eines Baurates macht, wenn hoch, 8000 Lei aus. Da Schnürschuhe, feine Friedensqualität, heute sicher 800 Lei kosten müssen, kann sich der Baurat statt 25 - 1 Paar Schuhe für sein Gehalt kaufen. So war es damals mit Anzügen, Stoffen u. allen anderen Bedarfsartikeln. An Pension würde mir nach diesem Schlüssel die Summe von 25 x 7450 = 186200 Lei monatlich gebühren. Jeder Fixlöhner hat das Menschenrecht auf diesen Lohnschlüssel: aber wie sagt man nur: Wehe dem, der Recht hat ... Die Bratenröcke kümmern sich den blauen Teufel um die Menschenrechte des Fixlöhners, der nur als willenloses Stimmvieh gut genug ist: Sie machen nur Politik u. schreien sich die Hälse voll. Das scheint ein einträgliches Geschäft zu sein, zumindest hat man es dabei nicht nötig, sich um die Existenz eines anderen zu kümmern, sondern bloß um seine eigene. Ein endgültiges Verbleiben in einer solchen Sphäre ist für euch u. uns unmöglich. Mögen wir Alten die Ausreise nur erleben! Wir stellen euch unsere "Punkte" zur Verfügung. Sagt, was Ihr haben wollt u. schickt uns das Geld, wir senden euch die Ware per Post. Ihr könnt das Gekaufte dann verklopfen. Heute einem Fixlöhner "Punkte" zuzuteilen, ist der plumpste Bluff, die blutigste Ironie. In Zeiten solchen grausames Druckes auf Fixlöhnerexistenzen ist es ratsam, versprengte Haushaltungen zu kumulieren, um die Zeit leichter durchhalten zu können. Wir bitten dich, hierüber nachzudenken u. auf alle Fälle für uns im Elisabetheum "die Fühler auszustrecken".

Die Alten.

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