06.08.47: Das zerbrochene deutsche Thermometer


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):





Radauti 6/8 1947

Liebe Kinder!

Das Pakett dankend erhalten, die Flasche Analcid [Anm.: Insektizid] war zerbrochen u. am Transporte ausgeronnen (Flüssigkeiten wären nur in Blechbüchsen zu versenden). Für den Staub werde ich am hiesigen Platze einen Zerstäuber suchen, gebrauche ihn aber vorderhand so. Die Mutter hat sich im Aussehen u. Befinden gebessert, die Ärzte sagen in einer langen, am Krankenbette angehefteten Krankengeschichte, die ich der Verschnörkelung halber nicht lesen kann, zum Schluß so etwas wie: pleuroza în descreștere [Anm.: rum. med. "abklingende Rippenfellentzündung"]. Ihre stark abgemagerten Extremitäten machen mir Sorgen, trotzdem ich nie die Freude hatte, sie soviel Nahrung zu sich nehmen zu sehen wie jetzt. Butter u. Obst erhält sie täglich, Brot bringe ich ihr v. Weinschenker, auch die Spitalskost (Krautsuppe mit Porumb [Anm.: rum. "Mais"], Tee) konsumiert sie, Frau Gerber tut ihr Möglichstes, Portionen ausgiebig. Das Gesuch habe ich ins Reine geschrieben u. dem H. Reinhold übergeben. Wenn dort kein Erfolg ist, dann beziehen wir das Weinschenker'sche Eckhäuschen. Die 12 diuretin[...] [Anm.: rum. med. "Diuretin-Gelkapseln"] haben 760000 Lei gekostet, jetzt hat das Spital noch eine Harnprobe gemacht (160000 Lei), Zuckergehalt 1.50 %. Die geringe Steigerung v. 0.85 auf 1.50 ist wahrscheinlich auf den gezuckerten (statt sacharisierten) Spitalstee zurückzuführen u. hat keine Bedeutung. Soeben war ich bei Dr. Rachmut, er sagte dasselbe wie oben, Geschwulst an Leber u. Füßen fast ganz weg (an Füßen ganz), aber das Exsudat [Anm.: med. "Ausschwitzung"] ist noch - wenn auch vermindert - da, die Spitalsbehandlung müßte um mindestens 5 Tage verlängert werden. Mutters Beschwerde über unreine Klosette gab ich an ihn weiter, er versprach Abhilfe. Jetzt wird der Tee nicht mehr gezuckert u. wenn ja, dann weist ihn die Mutter zurück. Sacharin verschafft. Auch Kartoffelkost bei Fr. Gerber f. d. Mutter abgestellt. Damit die Mutter eine ihr zusagende Suppe bekommt (der Fr. Gerber konvenieren nur Kartoffelsuppen) werde ich ab heute (resp. morgen) mit dem Obst auch etwas Paradais [Anm.: österr. "Tomaten"], Schnittbohnen u. Zwiebel kaufen u. täglich für Mutter eine Suppe ausfolgen. Mit Speiseöl ist hier eine schreckliche Kalamität, Fr. Gerber klagt fortwährend. Für Zwiebel, Schnittbohnen u. Paradais [Anm.: österr. "Tomaten"], wie die Mutter es wünscht, habe ich der Fr. G. eine Zulage von 12000 Lei tgl. gewähren müssen, dafür verzichte ich auf meine tägliche saure Gurke. Die Kost wird, wie bei allen Kostfrauen, immer magerer: heute erhielt ich das Rindfleisch bloß, ohne jede Beilage. Daß ichs nicht vergesse: auch das Thermometer ist zerbrochen angekommen, die Hg[Anm.: chem. "Quecksilber]-Kugel ist im Schutzglas abgebrochen. Mutter erholt sich zusehends, aber die Auslagen der 1. Woche, incl. Kostgeld an Gerber, machen 7045000 Lei aus, ohne Kostgeld 3795000, dazu kommen noch die von dir verausgabten Spitalskosten samt Ärztehonorar. Weinschenkers drehen mit der Wohnung u. [...] mich derart, daß wir wahrscheinlich in der Dachbodenwohnung - unsere künftige Sterbestube - bleiben werden. Fr. E. ist im Wohnungssuchen wie in allem: gänzlich unverläßlich, andere findige Mäkler [Anm.: selten "Makler"] nach Großstadtmuster gibts hier nicht.

Ich schließe u. wir grüßen und küssen euch, eure Alten.


Schon jetzt: unsere herzlichen Glückwünsche zu deinem Geburtstage [Anm.: 21.08.12, Geburtstag Julius Hauster].

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