24.03.47: Ich beabsichtige, wieder mein Pech zu versuchen.


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):




Radauti 24/3 47

Liebe Kinder!

Es ist erstaunlich u. rührend, wie Ihr mit euren Liebessendungen immer den richtigen Zeitpunkt trefft: So auch jetzt (600000), dafür Dank u. Gotteslohn 1:10000 hinauf. Denn wir haben auf die Pension gerechnet, u. da wurde die Auszahlung um einige Tage verschoben, da die Erhöhung (100 %) kalkuliert werden muß. Ich hatte daher schon begonnen, mein Hauptnahrungsmittel - Kartoffeln - in der Ration zu halbieren (12 - 13000 Lei/kg - mikroskopisch, nicht?), da riß uns eure Sendung aus der Klemme. Was das Altersheim betrifft, bin ich selbst davon abgekommen, seitdem ich mich durch einen gelegentlichen Besuch vom Raummangel dortselbst überzeugte: 9-10 Betten in einem nicht allzugroßen Raume, nicht in Reihe geordnet, sondern durcheinander Bett bei Bett u. Nachtkistl bei Nachtkistl, kaum Platz zum Passieren. Bettausstattung bei jedem auffallend brillant. Wenn das Privateigentum der Pfleglinge ist, dann bin ich gar nicht in der Lage, hinzugehen, da ich solche Bezüge gar nicht habe. Wir sind nämlich in unsern Textilien furchtbar Souterrain, durch den langen Polarwinter, die kalte Wohnung u. dem Aufgefressenwerden vom Heizungsbudget, so daß wir uns keinen Meter [Amerikaleinwand] anschaffen konnten (in unserem [Ökonomate] 24000 Lei/m, nur Geistliche u. rum. Protektionskinder erhalten solche). Die Etuva [Anm.: rum. "Wäscherei und Heißmangel"] hat das ihre getan u. uns großen Brandschaden, sowie Diebstahl gebracht [Anm.: s. Brief vom 07.07.46]. Sie war ein Irrtum, denn wenn der Körper u. die Leibwäsche durch Waschen u. Baden resp. fleißiges Wechseln gepflegt wird, dann kommt die Reinlichkeit automatisch, ebenso wie z. B. bei Verwundeten, die in furchtbar verwahrlostem Zustande im Schützengraben aufgelesen werden, im Hinterlandspital - Ordnung vorausgesetzt - sehr bald rein werden. Deswegen begrüße ich deine Idee, uns nach Bucuresti zu bringen: ein Zimmer samt kl. Küche oder Küchenmitbenutzung, aber unbedingt W. C. u. zumindest Brauseraum (wenn nicht Badezimmer), das würde uns für den Rest unseres Lebens genügen. Übrigens betrachte ich auch für euch Bucuresti bloß als eine Etappe auf dem Wege nach Palästina. Der psychopathische Fall Hitler u. dessen Begleiterscheinungen wie Transnistrien [Anm.: Gebiet zwischen Dnister und Bug, Ziel der in sog. Todesmärschen deportierten rumänischen Juden] etc. haben gezeigt, daß es ein schwerer Fehler ist, nur an den morgigen Tag zu denken. Vor 40 Jahren sagte Max Nordau [Anm.: Mitbegründer der Zionistischen Weltorganisation] in einer Rede: "Mir graut vor dem Tage des Judenexodus aus Europa ..." u. der Tag kam! Dr. Ebner [Anm.: verm. Dr. Mayer Ebner, Mitherausgeber des Wochenblattes "Der Volksrat", Czernowitz] sagte vor ~ [...] Jahren in einer Rede: "wer jetzt nicht nach Palästina fahren will, der wird später einmal dorthin laufen." Der Haß in kleinen Portionen darf nicht unterschätzt werden, er summiert sich u. kommt einmal als Naturgewalt zum Ausbruch. Du bist noch in dem Alter, wo du an eine Verpflanzung deiner Existenz nach Paläst. wenigstens denken sollst: Vielleicht fällt dir etwas Gutes ein, wie: Fabriksgründung mit deinen Schwägern, Grundparzellierung etc. vielleicht Vertretungen. in Pal. [Anm.: Palästina, bis 1948 unter britischer Mandatsverwaltung] lebt ein Arbeiter von seinem Taglohne 2-3 arbeitslose Tage, während in den "demokratischen" u. "sozialistischen" Nordostländern der Fixbesoldete [Anm.: Arbeitnehmer mit einem Festgehalt] systematisch zugrunde gerichtet wird. Das hängt mit der Volkseigenschaft der Engländer im Gegensatze zur Eigenheit gewisser anderer Völker zusammen. Es wird lange dauern, bis sich der englische Einfluß in Rum. [Anm.: Rumänien] soweit geltend macht, daß der Fixlöhner [Anm.: s. o.] zu seinem Rechte kommt. Vielleicht wird sich der entgegengesetzte Einfluß soweit verstärken, daß es noch schlimmer wird. Trachten wir daher, in die Einflußsphäre des Habeas-Corpus-Volkes [Anm.: England] hinüberzukommen, es wird jeden von uns gereuen, es nicht früher getan zu haben. Solltest du Radauti einen Oster- oder sonstigen Besuch abstatten wollen, dann bitte uns zeitig zu verständigen, damit wir uns ein wenig "zusammenreißen" (in Ordnung bringen) soweit wir es können. Wenn du erst jetzt frägst, wo man wegen Jawneh [Anm.: s. Brief vom 14.11.46] interveniert (wo du doch in jedem Adressbuch - Popa Rusu 30 - u. die Telefonnummer finden konntest), dann kommt die Intervention ohnehin zu spät. Ich will dich künftighin mit solchen Sachen von deinen Lovituren [Anm.: rum. "lovitură" = "(Rück)schlag", im übertr. Sinn "eigene Probleme"] nicht ablenken, es ist jetzt nicht die Zeit, an geistige Adelsbriefe zu denken. Übrigens kommt im Mai ein neues Preisausschreiben, ich beabsichtige, wieder mein Pech zu versuchen. Vorderhand genügt mir die Adelsbelohung durch Axelrad. Im Laufe des Sommers, sobald unsere Übersiedlung nach Buc. [Anm.: Bukarest] noch nicht diskussionsfähig ist, werde ich mich bemühen, eine andere Wohnung ausfindig zu machen, sonst bleibe ich in Gottes Namen noch einen Winter. Tante Gusta hat dir ihren Paß rekomm. [Anm.: eingeschrieben] eingeschickt. Nochmals danke u. Gotteslohn, wir küssen euch, eure Alten.

Lit. Beilage

Auszug (v. André Spire [Anm.: franz. Dichter, militanter Zionist] , rum. Text v. A. Axelrad)

O Israel, vom Leben so angezogen,
Flieh, Israel, die Vaterländer verlogen!
Ist dir das Land lieb, in dem lebst so getreten,
Sind dir die Lüfte lieb, die hier dich umwehten,
Ist dir die Sonne so lieb, oder der Wind,
Die Felder, der Schnee, ans Herz dir gewachsen sind?
Wo deine Töchter zuerst gebadet, das Wasser,
Der Wald, wo geirrt du, wie eine Wölfin, die flieht,
Das Fenster, daraus deine Kinder geschleudert der Hasser?
Aus deiner Seele reiße der Knechtschaft Gebiet,
Als Reisezehrung nimm ungesäuertes Brot,
Und bittere Kräuter mit dir, nach altem Gebot,
Deine Schuhe leg' an, umgürte fest deine Lende,
Zum Gehen dich wende!
Und wiederum wird das Meer vor dir sich spalten,
Um einen Weg zum Durchgang dir freizuhalten
Deine Großen haben die ganze Welt durchspürt
Und fanden Kanaane, die dir neu beschert,
O greife zur Hacke, die alten Bäume zu roden,
mit Spaten durchwühle den jungfräulich harrenden Boden.
Errichte Farmen, Herbergen u. Wohngebäude,
Die Herden führe heraus auf die fette Weide,
Erst pflanze, propfe [Anm.: Veredeln von Gehözen] u. säe,
Und - auf dann, ernte u. mähe!
Aus deinem Bienenhonig, dem süßen,
Aus der Milch, die von deinen Schafen wird fließen,
Aus deiner Weingärten grünen Lauben,
Aus deinen vollen, strotzenden Trauben,
Wirst sehen du, wie sich gesundend u. jung,
dein Stolz wie eh'mals erhebt im Schwung,
Israel!

1917 v. A. Axelrad

Im Schützengraben - ein Soldat
Man sieht die Brust ihm bluten.
Der Tod ihn dekorieret hat,
Die Sonne sinkt in Gluten.
's ist Strul Avram [Anm.: jüdischer Name]! Ich kenne ihn,
Der mit dem Schwall von Leuten,
Die Ketten brechend, auszog kühn,
Um fürs Ardeal [Anm.: Synonym für "Transilvanien" oder "Siebenbürgen"] zu streiten.

Die Erde gierig trinkt sein Blut,
Als spräche sie: nicht minder
Bist du mein Sohn, du armer Jud',
Ein Kind, wie andre Kinder!

Zum Körper tot, im Mondeslicht,
Schießt hungrig heiß der Rabe:
Das Fleisch, es bietet weniger nicht
Als Christenfleisch, ihn Labe.

Der Tote wird dann eingeräumt,
Vom Massengrab verschlungen,
Er hat, was er schon längst erträumt,
das Bürgerrecht errungen.

Aus dem Rum. v. E. H.

Hast du vom Verlage "Das neue Österreich" Wien, das Werk: "Die Atombombe u. ihre Vorgeschichte" ([darin] Atomtheorie) bezogen?

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