22.03.48: ...weil du keinen blauen Dunst von städt. Bauordnungen u. Bauschwindelbekämpfung hast.


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):





Radauti 22/3 1948

Liebe Kinder, insbes. lieber Julius!

Es ist kein Wunder, daß dir in diesen für dich u. viele andere aufgeregten Zeiten beim Lesen meiner Briefe Mißverständnisse unterlaufen. Für die vielen Wunder, die uns, deinen Alten, Gott durch deine Hand erwiesen hat, von der Befreiung vom Ghetto an bis zur Erhaltung in den 2 Hunger- u. Dürrejahren, haben wir nicht Organe genug, Gott zu danken, u. wir sind uns dieses Mangels bewußt. Ich konnte für meine Eltern nicht einmal den millionsten Teil von dem machen, was du zustande gebracht hast. Was das Sterben anbelangt: im patriarchalischen Alter, in das ich trete, muß jeder dran denken, daß dies früher oder später eintreten wird (sogar der Psalmist spricht dies aus). Daß ich aber, wie die Dinge jetzt liegen, von Elend sprechen muß, das liegt nicht in deiner Macht, es vorderhand zu ändern. Die Verpflegung ist hier glänzend, ich wiederhole u. betone es. Aber der Mensch hat, solange er lebt, auch andere Bedürfnisse. Wir möchten einige, die notwendigsten, Möbelstücke in unserem Wohnraum haben u. nicht auf Pritschen schlafen. Wir möchten die Möglichkeit haben, unser zerschlissenes Zeug, sowie in bescheidenem Maße, dann u. wann ein kaputtes Kleidungsstück zu ersetzen. Dabei möchten wir 1 Mal in 2 Wochen ein Kino besuchen (wir taten dies nicht, seitdem wir hier sind) etc. Das alles können wir nicht, u. das ist die schwere Schuld des großen V. B. [Völkerbefreiers], der uns von unserer Heimatscholle vertrieb, wo wir Möbel u. Wohnung etc. wie reiche Leute hatten. Jetzt sind wir schlimmer dran als Abbrändler, denn denen bleibt wenigstens der Baugrund. Und ist das vielleicht für uns leicht zu tragen, wenn wir euch, unsere einzig zurückgebliebenen Kinder, nach einem unbekannten Ziele in die Ferne schweifen lassen müssen? Das alles habe ich in die Redensart zusammengefaßt: im Elend sterben (beileibe nicht gleich!). Soviel steht fest: Am Stock [Stockwerk] können wir absolut nicht wohnen, wir sind auf der Suche, aber das ist für uns zu anstrengend. Wir hoffen, daß du uns mit Gottes Hilfe reorganisieren kannst. Es sei noch hinzugefügt, daß uns der Genuß deiner materiellen Hilfe durch 2 Bedenken vergällt war: erstens befürchteten wir, daß sie dir zu schwer fällt, u. zweitens, daß du sie uns eines Tages unter die Nase halten wirst. Beide Befürchtungen sind eingetroffen u. gehören ebenfalls nicht zu den Annehmlichkeiten unseres Exilantendaseins. Dankbar können wir dir nur dadurch sein, wenn wir für dich zu dem Gott, den du durch deine Handlungen geehrt hast, beten. Wir wünschten es auch, anders zu sein, aber man hat nicht alles, was man will. Und so sehen wir eurem Eintreffen mit frohem Herzpochen entgegen u. küssen euch, eure Alten.

P.S. 1) Bitte das Durchgangsventil 3/8" (Messing) nicht mit Gewindemuffen, sondern mit Lötzapfen f. [...] nicht zu vergessen.
2) Bitte nicht von einem "Übersiedeln zu dir" Erwähnung zu tun, das wäre nie u. nimmer geschehen, denn wir wären absolut nicht dazu zu bringen gewesen.
3) Bitte auch das Elisabetheim für uns in Erwägung zu ziehen.

Was unsere Heizsysteme betrifft, wäre es müßig, mit dir hierüber zu diskutieren, weil du keinen blauen Dunst von städt. Bauordnungen u. Bauschwindelbekämpfung hast (In letzterer Disziplin habe auch ich erst durch Erfahrung am eigenen Leibe Fortschritte gemacht.) Ärgerlich ist nur, daß du von dieser deiner Unkenntnis nichts weißt. Um diese Lücke bei dir zu beseitigen, behalte ich mir ein Exposee in einem nächsten Schreiben vor.

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