07.10.48: Der Heißhunger nach neuen, verwandtschaftlichen Beziehungen
Elias Hauster an Julius Hauster:
Radauti 7/10 1948
Lieber Sohn!
Deine neue Zivilstands-Situation ([rum.] starea civila) gibt uns, je mehr Zeit dazwischen vergeht, zu denken. Wir können den Gedanken nicht loswerden, daß zu so kritischen Zeiten ein Alleinsein nicht förderlich ist. Es drängt sich uns die Parallele mit dem armen Marzell [Anm.: Maximilian Hauster] auf: Wenn er unsern Herzenswunsch seinerzeit erfüllt u. die Mela [Anm.: Melanie Vawga (Bardach)] in Paris oder sonstwo geheiratet hätte, er wäre heute am Leben, denn er hätte jemanden gehabt, der ihm in entscheidenden Augenblicken den richtigen Rat erteilt hätte. Wir glauben daher, du müßtest nach einer neuen Lebensgefährtin Umschau halten, womöglich aus weitverzweigter Familie der oberen Zehntausend, um in jeder Beziehung, was man so nennt, Anlehnung zu haben. Jetzt wirst du schon hoffentlich Erfahrung haben, wie eine Frau zu behandeln, mit der man bis zum seligen Ende durchhalten will. Es wird dich vielleicht interessieren, daß in meiner Familie nicht auch ein Stück Romantik fehlt, deren direkt Beteiligte schon längst im Reiche der Schatten weilen. Zuliebe der Schwester meines Vaters übertrat ein Bruder (oder Neffe?) des weiland ungarischen, katholischen Erzbischofs Hussar zum Mosaismus [Anm.: jüd. Religionsglaube] u. heiratete sie. Aus dieser Ehe stammten 2 (oder 3?) Söhne, die nicht mehr am Leben sind: einer war chem.-Pharmazeut u. Direktor einer Parfumfabrik (Josef Hussar), der andere war Herausgeber des bukar. Wochenblattes "Bursa" [Anm.: rum. "Die Börse"]. Mit beiden, die in Bukarest wohnten, nahm ich vor ~ 28 Jahren die Korrespondenz auf, Josef sandte uns ein Pakett mit Parfums u. Liquören, Produkte der von ihm geleiteten Fabrik, der "Bursa" [Anm.: rum. "Die Börse"] Direktor samt sehr distinguierter Gemahlin kamen nach Cernauti, um uns zu sehen u. sandte mir jahrelang - bis an sein Lebensende - die "Bursa" gratis zu. Er dürfte 2 Söhne hinterlassen haben, auch Töchter, allesamt zu ihrem angestammten christlichen Glauben zurückgekehrt u. mit Christen resp. Christinnen verheiratet. Wenn du also auf einen dieser Sippe stoßen solltest, wäre es vielleicht gut, die Beziehungen aufzufrischen. Seit deiner Scheidung haben wir für dich, da deine Beziehungen mit den Greifs gelöst sind, einen wahren Heißhunger nach neuen, verwandtschaftlichen Beziehungen. Vor einigen Jahren erfuhr ich, nebstbei bemerkt, daß ein junger Ing. Hauster, aus Polen stammend, samt seiner Frau in Cernauti weilte. Da mein Vater aus Rohatyn stammt, dürfte dieser Ing. der Sohn eines meiner Vettern sein. Vielleicht hat er sich nach Bucuresti gewendet? Was mich anbetrifft, bitte ich dich ausdrücklich, dich dort fortlaufend bei Ärzten, mit denen du Verkehr hast, zu interessieren, ob nicht eine neue, erfolgversprechende Behandlungsmethode für mein Leiden (Lungenemphysem) aufgekommen ist - vielleicht Phenicilin, das ja gegen diverse Krankheiten verwendet wird, oder sonst etwas? Zu Inhalationen von Menthol u. Eukalyptus verwende ich den [...]zerstäuber, den ich habe reparieren lassen. Bei der Rückenmassage helfe ich mir durch Klopfen mit einem Stück Gummischlauch. Nur ein (1/2 Liter) T[h]ermos ist hier nicht erhältlich, so etwas findet man nur in Bucuresti. Wenn ich den hätte, würde ich öfters warme Ziegenmilch schlucken können, die für Lungenschwächlinge sehr zu empfehlen ist. Könntest du mir nicht ½ lit-T[h]ermos durch einen Gefälligkeitskurier zukommen lassen? Lieber wäre uns, wenn du selbst abkommen könntest, denn wir sind in punkto Kleider u. Wäsche (so z. B. für mich ein Sacco) ganz souterrain. Deine seinerzeit gestifteten Hemden waren ganz fadenscheinig. Nach einer längeren Benutzungsdauer (schließlich sind wir ja doch schon 2 ½ Jahre hier) mußten sie in Taschentücher umgewandelt werden, sofern dies überhaupt möglich war. Wenn unser Exil noch lange dauert, werden wir alle bald in Fetzen gehen ähnlich den Vogelscheuchen.
Wir küssen dich, deine Alten
Wenn du Schella siehst grüße sie von uns bestens. Vielleicht strapazieren wir statt dich persönlich lieber die Pakettpost? Läßt sich die Knopfidee [Anm.: s. Brief vom 29.09.48] vermarkten??
Bitte umgehend Nachricht, ob du die Staatsbürgersch.-Dokumente rechtzeitig erhalten hast u. ob die Verhandlung stattfand. Dokumente bitte retour nach Gebrauchnahme.
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