07.04.47: Lebensniveau von Höhlenmenschen


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):





Radauti 7/IV 1947

Liebe Kinder!

Die im Telefongespräch in Aussicht gestellte halbe Million habe ich prompt am nächsten Tage erhalten, herzl. Dank u. Gotteslohn. Ihr schickt uns ein Heidengeld, es gibt nur an den Fingern abzuzählende Radautzer Bewohner, welche - außer denen, die von Amerika Gelder beziehen - soviel von ihren Kindern bekommen (Amerikagelder kommen nicht unter 15-16 Millionen pro Person - auf euch u. uns gesagt!). Es ist aber immerhin interessant, einen Vergleich mit dem Jahre 1924 aufzustellen, da mein Aktivgehalt 18600 Lei betrug. Damals kostete ein Ei 2 Lei, 1 kg Fleisch 20 Lei, 1 kg Maiskörner (wer hat denn je so etwas nur angeschaut?) 3 Lei, 1 Liter Milch 6 Lei, 1 kg Brot 22 Lei. Der Teuerungsfaktor ist also beim Ei 2500, beim Fleisch 3750, bei den rationierten Maiskörnern (die muß man zur Mühle schleppen) 4250, bei d. Milch 2667, beim Brot 4545, der mittlere Teuerungsfaktor zwischen den 5 obigen Artikeln [Anm.: Textstreichung in Klammern <>] 4180. Bei Beibehaltung meines damaligen Lebensniveaus, das auch nicht übertrieben luxuriös genannt werden konnte, gebührte mir schon ein Aktivgehalt von 18600 x 4180 = 35948000 Lei. Da meine Pension nur 87 % beträgt, würde eine Pension von ~ 31275000 Lei gebühren. Meine Pension (806000 Lei) macht aber bloß 1/40 dieses Betrages aus. 39/40 wurden mir gestrichen. Du sollst dich daher nicht wundern, lieber Jul., wenn du uns auf dem Lebensniveau von Höhlenmenschen vorfindest. Und wenn sich das "demokratische" Regime sogar jetzt entschließt, unsere Pensionen auf das Niveau des Teuerungsindex zu bringen (was dem Regime gar nicht im Schlafe einfällt), wer entschädigt mich für das, was ich inzwischen über Bord werfen mußte? Ich bin leider in eine Zeit hineingeraten, da sich die erschütterndste Menschheitstragödie abspielt, indem die europ. Kultur durch das Vordringen der Steppe einen tödlichen Stoß erhielt, vergleichbar nur der Völkerwanderung, die erst nach 300 Jahren zum Stillstand kam. Von meinem Heim u. meiner heimischen Existenz vertrieben, wurde ich vom geistigen Feinarbeiter zum Kanal- u. Wasserträger, wir hausen in leeren Räumen mit einigen roh gezimmerten Hausgeräten, unser Zeug ist zerschlissen, ein Sohn ist ermordet, Winters haben wir an Kälte gelitten, noch jetzt ist es hier frühmorgens u. nachts empfindlich kühl. Unsere Hygienie (nur Waschungen, denn wir sind "Menschen ohne Bad") ist im Winter am Nullpunkt, soweit möglich, muß die Kälte die Hygienie ersetzen. Mein Rüstzeug zu einem Geistesleben habe ich teils i. J. 1942 für Maismehl verschleudert, teils der Steppe in den Rachen werfen müssen. Die Mutter kann keine Diät halten, Brot haben wir seit Monaten nicht gesehen. Wir können doch nicht 100000 Lei für ein kg Brot ausgeben! Du wirst daher mein Steckenpferd Palästina begreifen, da mich der Selbsterhaltungstrieb aus dem Bereich der Steppe, die auch die Nachbarschaft beeinflußt, forttreibt, die wenigen Jahre, die mir für den irdischen Lebenswandel bleiben, möchte ich gern in einem Milieu verbringen, wo Menschenrecht u. Menschenwürde geachtet wird. Verzeiht, daß ich euch die Ohren voll gemacht habe! Wir küssen euch, eure Alten. Wir erwarten dich sehnlichst auf rum. Ostern. Schade, daß die l[iebe]. Schella [Anm.: Rachel Hauster (Greif)] nicht mitkommen kann.

Lit. Beilage: Die Auswanderer (v. Heinrich Grünau, in rum.Übertragung v. Axelrad)

"Wohin führt uns die Well' in Eile,
Vater, mit ihrem Wutgebraus?
Was soll des Feinds, des Sturms Geheule?" -
- "Junge, wir wandern aus."

"O sieh, Mutter kann sich nicht fassen:
Wie sie so bitter schluchzt und weint!
Wie können unser Heim wir lassen?" -
- "Verjagt hat uns der Feind."

"Doch sag', o Vater, gib mir Kunde,
Begingen wir so große Sünd?
Sie jagen uns - aus welchem Grunde?" -
- "Drum, weil wir Juden sind."

- "Und kann uns niemand Rettung künden?
O sag, wo ist denn unser Land,
Wo Zuflucht, Sicherheit wir finden?" -
- "Von dort sind wir verbannt."

- "Müssen dem Schicksal wir uns beugen,
Zu wandern stets auf schwankend Zill' [Anm.: österr. "Zille" = "Kahn"]?
Wann wird das Land uns wieder eigen?" -
- "Wenn unser Volk es will."

Aus dem Rum. v. E. H.

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