27.02.48: Den Luftmenschen will das jetzige Regime mit allen Mitteln ein Ende machen.


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):





Radauti 27/II 1948

Liebe Kinder, lieber Julius!

Endlich einmal ein aufschlußreicher Brief. Wir sind schon auf das richtige Pakettsenden gekommen, es macht uns gar keine Schwierigkeit, wir werden Hefekistel verwenden, die hier leicht erhältlich sind. Mit 1000 Lei sind ungefähr die Kosten eines Pakettes gedeckt. Nun will ich punktweise - wie manchmal du - fortsetzen:

1.) Bezüglich der Heiterkeit:
Mutter sagte bei Verlesung meines Anbotes: "Die werden lachen ..." Darauf ich: "Das macht nichts, wir werden dann wenigstens erfahren, was an den fortgesetzten Lamentationen über den miserablen Geschäftsgang ist." Du hast uns in die Lichtseiten deiner beruflichen Existenz nur sehr spärlich blicken lassen, vielleicht, um auch weanerisch [wienerisch] zu werden: "Damit dö Leut' nöt zu anspruchsvoll wer'n." ["Damit die Leute nicht zu anspruchsvoll werden."] Aber den flauen Geschäftsgang erfuhren wir sehr eingehend. Und da dachte ich daran, daß du dich selbst in einem deiner Briefe in komischer Selbstironie einen armen Spekulanten nanntest, mit anderen Worten einen Luftmenschen. Und dem Luftmenschentum will ja das jetzige Regime mit allen Mitteln ein Ende machen. Und da war der Gedanke naheliegend: Vielleicht ist es bei dir schon so weit ...

2.) Auskommen:
Wir kommen aus, weil wir es müssen. Der große Demokrat, Völkerbefreier u. Selbstbestimmungswächter, der uns aus unserem Heime indirekt davonjagte, hat unsern Lebensstandart auf den seiner 200 Millionen nomadisierender Sklaven, u[nd]. zw[ar]. desjenigen Teiles, der zum Stehlen keine Gelegenheit hat, herabgedrückt. Speziell im Polarwinter, der hier an der Nordseite Rumäniens herrscht, leben wir wie etwa die Eskimos. Auf meine alten Tage bin ich Zwangsarbeiter des großen Generalissimus [Anm.: verm. Josef Stalin] geworden. Von Parasiten hat uns dein Fluorpräparat D.D.T. zwar endgültig befreit, aber andere Details unserer "Lebens"-weise sind zu grotesk, um geschildert zu werden.

3.) Stabilisieren: Hier definitiv zu bleiben, daran denkt kein geistig gesunder Jud'. Sogar Apotheker schlafen auf Pritschen (beim Einsturz einer solchen hat sich eine Apothekersgattin einen Beinbruch geholt). Das Radautzer Winterklima u. diese Wohnung, de über eine Bodenstiege zugänglich ist, u. wo unsere Heizgruppe keinen eigenen Kaminschlauch hat, so daß jedesmal, wenn (nach den Worten des Psalmisten) der Herrgott auf Windesflügeln seinen Reitsport treibt, jeder Windstoß unser einzig "bewohnbares" Zimmer voll Rauch macht, so daß wir bei Polarkälte die Türe sperrangelweit offen halten oder das Feuer ziehen müssen u. dann in der Tagesbekleidung nachts unter die Decke zum Schlafen kriechen, das alles ist für uns alte, mit Leiden behaftete Menschen ein sicher wirkendes Gift. Wir träumen daher zu unserem Troste vom Leben in einem milden Klima (Palästina oder zumindest Timisoara). Sollten wir dieses Ziel im Leben nicht erreichen, dann werden unsere Seelen (wenn es solche gibt) dorthin flattern.

4.) Diverse
Was das Symbol anbelangt: Hier findet man zuweilen beim Aufschneiden von Landbutter Käse oder sogar eine große Kartoffel. Heute bei der Kälte ist auch hier der Marktpreis 500 Lei/kg, Kartoffelzugabe inbegriffen. Jakob Erler kannst du aus deiner Evidenz streichen, Fr. Ellenbogen wird sich direkt an die Bukar. Kultusgemeinde wenden. Mit der Affaire Gerber kannst du dir bis zur Abwicklung der Affaire Bardach Zeit lassen. Ich schreibe gleich an Tante Gusta um die nötigen Daten, die sie dir direkt einsenden soll. Sollte das Regime die Pension auf die Höhe, wie sie bei der "großen Demokratie" gezahlt wird, reduzieren, dann habe ich hier eben nichts zu verlieren u. werde alles tun, um meinen Palästinatraum in die Tat umzusetzen, sofern ich noch unter den Lebenden weile. Vorderhand bitten wir dich um eine Kreuzbandsendung [Büchersendung] abgelegter Lektüre (Auslandspresse, "Agir"[Anm.: Allgemeiner Verband Rumänischer Ingenieure]-Bulletin, techn. Sachen etc.), wenn es dir nicht zu viele Scherereien macht.

So, wir beten für euer Wohlergehen u. küssen euch, eure Alten.

P.S. Wir laden euch schon jetzt zu den Seder-Abenden [Anm.: Festabend, Auftakt des jüdischen Pessach-Festes] herzlich ein. Verfolgst du die "Freeland"-Bewegung? Surinam ist von St. Paolo nicht sehr weit

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