12.06.48: Unser Leben als "derweil"-Menschen


Elias und Marjem Hauster (Fleischer) an Julius und Rachel Hauster (Greif):




Radauti 12/6 1948

Liebe Kinder!

Hoffentlich kommt dieses Schreiben rechtzeitig an, um der lieben Schella unsere herzlichsten Geburtstagsglückwünsche darzubringen. Gott gebe euch viel Freude und eine recht lange, lange Zahl der Wiederholung dieser Feier. Unser Leben als "derweil"-Menschen hat sich hier so ziemlich normalisiert: ohne geistige Kultur, keine Kunstausstellungen, kein Ton Musik, aber Schmetten [Anm.: ostmitteld. "Sahne"], Sauer- u. Süßmilch, Lammfleisch, etc. Mit der Atomlektüre bin ich schon so ziemlich fertig u. im Laufenden, jetzt beginne ich mit der Lektüre der Radiotechnik. Einen Apparat wird mir der Rest meines Lebenslaufes ohnehin schwerlich bringen, dann sei es wenigstens am Papiere.

Lieber Julius! Ich bitte dich, in der Str. Popa Rusu 30, Congresul mondial evreesc [Anm.: rum. "Jüdischer Weltkongress"], oder an sonstwo geeigneter Stelle Informationen einzuholen, wo in Deutschland jüdische Flüchtlingslager bestehen. An diese möchte ich schreiben, in den Suchlisten zu veröffentlichen, ob von den Auschwitzer Überlebenden jemand das Schicksal des armen Verschollenen [Anm.: Maximilian Hauster] kennt.

[Marjem Hauster (Fleischer):] Liebe Schella! Wie freue mich daß uns der Herrgott vergönnt auch dieses wie alle Jahre dich zu deinem Geburtstag zu beglückwünschen! Ich hoffe mit Bestimmtheit daß du u. der l[iebe]. Julius uns besuchen werdet. Diesmal die Sommerfriesche in Radautz verlegen. Das wäre auch für mich ein schönes Geburtstagsgeschenk. Ich bin dieser Tage sehr schwach mußte Dr. Rachmuth konsultieren lassen. Die Diät 5 Dkg [Anm.: österr. veralt. Dekagramm = 10 Gramm] Brot täglich ist nur sehr schwer einzuhalten u. ich bin zu schwach daß ich die kleinste Arbeit nicht leisten kann. Das Herz ist auch ein bischen schwach. Alles in allem kommet dann werde ich gesund. Küße Mutter

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