03.09.48: Wenn einmal der eiserne Vorhang niedergegangen ist, dann gibt’s kein Hinauskommen.
Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):
Radauti 3/9 1948
Liebe Kinder, lieber Julius!
Heute herzlichst dankend 2000 Lei erhalten. Vergelt's Gott mit göttlichem Multiplikationsfaktor. Kaum ist dir dein Posten langweilig geworden - gäbe es denn jetzt etwas anderes für dich zu tun? - erschüttert ein phänomenales Ereignis freudig die jüd. Welt: das Telegramm, daß sich alle 17-35-jährigen "fün unsere Lait" [Anm.: jidd. "von unseren Leuten"] zur Alijah [Anm.: hebr. "Auswanderungswelle nach Palästina"] zu melden haben. Dann folgt eine Schicht: die 36-65-Jährigen und zu allerletzt von 66 an aufwärts, wenn man das schon ein "aufwärts" nennen kann, vermutlich, wie es richtig wäre, mit Sanitätszug u. Krankenschwestern. Dir zu raten, mit auszufliegen, wäre für uns zu verantwortungsvoll, aber an eurer Stelle würden wir es tun: Ihr wolltet doch ohnehin aus dem Schrumpfring "aus eigener Kraft" hinaus u. wolltet die (aus eigener) Kraft-Männchen u. -Weibchen sich selbst überlassen. Dein Frauchen zögerte wegen der Gefahren: nun jetzt könnt Ihr es legal machen. Wir haben uns hier in den "Jichud" [Anm.: verm. jüd. Organisation] eingeschrieben, da wir durch ihn gegebenenfalls zu einer "Alijah" [Anm.: hebr. "Auswanderungswelle nach Palästina"] kommen können. Ich werde mich nach den anderen jüd. Pensionisten richten. Wie ist deine Devise bezüglich unser? Bist du für unsere Ausreise oder sollen wir hier bleiben, um dann Pensionisten der in inniger Umarmung ineinandergeflossenen "Demokratien" zu werden? Wenn einmal der eiserne Vorhang niedergegangen ist, dann gibt’s kein Hinauskommen. Möglich, daß sich für uns die Lebensverhältnisse bessern werden. Jetzt haben wir bloß Punkte, aber kein Geld zum Einkaufen. Dabei wird ein Kleidungsstück nach dem anderen lumpig u. vom langen Tragen übelriechend. Solltest du entschlossen sein, im Lande zu bleiben, dann wäre es an der Zeit, deine u. unsere Existenzbasis grundlegend umzubauen. Ich lege dir einen Timisoarer Zeitungsausschnitt v. 16/5 bei, woraus zu ersehen ist, daß dort bereits die Bauspekulation eingesetzt hat. Vermutlich auch in Bukarest. Wir würden Timisoara vorziehen, liegt es doch in der antiken "Dacia felix" [Anm.: röm. Provinz, lat. "glückliches Dakien"]! Wenn es dir gelingt, in Bucur[esti]. die Einkaufsstelle für Liegenschaften in U[d]RSS aufzustöbern - es soll dort angeblich eine solche bestehen - dann streben wir in Timis[oara] eine Kleinwohnung von 1 Parterre-Zimmer u. Küche, Kanal, Wasserleitung, Garten u. Brausezelle an, was du für den Erlös der 2 Cernautier Wohnungen auf deinen Namen erwerben könntest: Mit Timisoara wäre schon Radauti ein glänzender Tausch, geschweige denn Cernauti! Vielleicht gründest du nach dem Muster der "Agentur Weiß" eine "Agentur Hauster", nur müßte sie keinen Namen zur Schau tragen, sondern etwa "Fonciara" [Anm.: rum. "Grundstücke"], "Increderea" [Anm.: rum. "Vertrauen"] oder sonstwie heißen. Auf Grund- u. Bauspekulation mit "ewigen Wohnungen" wird sich jetzt überhaupt - mangels anderer Verwendungsmöglichkeit - das Privatkapital mit großer Vehemenz werfen, da wäre für eine Realitätenagentur [Anm.: Immobilienagentur"] ein sehr dankbares Feld. Ich könnte dabei sogar irgendwie noch mitarbeiten. Deine Auslandsverbindungen mit dienen derzeit belgischen Familienmitgliedern [Anm.: Familie Greif] kämen für ein solches Geschäft zustatten: Vielleicht hat ein ausländischer Kapitalist den Spleen, hier in Bauten zu spekulieren? Das Umgekehrte wird wohl schwer der Fall sein, kann aber auch eintreten. Du schriebst doch einmal, daß jetzt vor außenpolitischen Verwicklungen ein Staatsposten f. dich günstiger ist, wie ist es jetzt damit? Ich lege dir auch einen Zeitungsausschnitt über ein Buch der Auschwitzer Massenmorde bei, vielleicht kannst du dort, wenn du es irgendwo findest, in dasselbe Einsicht nehmen, um wenigstens das Todesdatum u. die angebliche Todesursache des armen Marzell [Anm.: Maximilian Hauster] herauszuschreiben, damit wir wissen, wann die Jahresandacht zu halten? Warum schreibst du, liebe Schellah, nicht einige Worte? Wie ist euer Befinden?
Wir küssen euch, eure Alten.
Schreibt euch in den "Jichud" [Anm.: verm. jüd. Organisation] ein (wenn Ihr noch nirgends eingeschrieben seid).
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